Full text: Litteraturkunde (Fünfter Teil = 9. bezw. 9. und 10. Schuljahr, [Schülerband])

78 
„Fragt, was ihr wollet; wir müssen schnell von hinnen. 
Sah' man uns bei euch beiden, das wär' mir leid von Herzen und von 
Sinnen." 
„Wem ist dieses Erbe und dieses reiche Land, 
Dazu die guten Burgen? Wie ist er genannt, 
Der euch ohne Kleider läßt so schmachvoll dienen? 
Wollt' er auf Ehre halten, euch anders zu behandeln würd' ihm ziemen." 
Sie sprach: „Der Fürsten einer heißet Hartmut; 
Dem dienen weite Lande und feste Burgen gut; 
Der andre heißt Ludwig von Normandie, der reiche. 
Ihnen dienen viel der Helden; sie sitzen ruhmvoll hier in ihrem Reiche." 
„Gern möchten wir sie sehen," sprach da Ortwein. 
„Könnt ihr uns bescheiden, ihr schönen Mägdelein, 
Wo wir die Fürsten beide in ihrem Lande finden? 
Wir sind an sie gesendet, selber eines Königs Ingesinde." 
Gudrun, die hehre, sprach zu den Helden da: 
„Ich ließ sie in der Feste; heute morgen sah 
Ich sie zu Bette liegen wohl mit vierzighundert Mannen; 
Ich weiß nicht zu sagen, ob sie seitdem geritten sind von dannen." 
Da sprach der König Herwig: „Könnt ihr uns sagen, 
Vor wem denn die Kühnen so große Sorge tragen, 
Daß sie so viel Helden halten zu allen Zeiten? 
Zög' ich damit zu Felde, ich möchte wohl ein Königsland erstreiten." 
„Das können wir nicht sagen," sprachen die Frau'n; 
„Wir wissen auch nicht, wohinaus liegen ihre Gau'n; 
Ein Land liegt in der Weite, das heißt Hegelingen; 
Sie fürchten zu allen Zeiten, das möcht' ihnen grimme Feinde bringen." 
Noch zitterten vor Kälte die schönen Mägdelein. 
Da sprach der König Herwig: „Möchte das doch sein, 
Daß es euch Minnigliche deuchte keine Schande, 
Wenn ihr edeln Mädchen unsre Mäntel trüget auf dem Strande." 
Da sprach Hildens Tochter: „Gott lass' euch selbst gedeihn 
Eure Mäntel beiden! An dem Leibe mein 
Sollen niemands Augen Manneskleider sehen." 
Wenn sie sich erkennten, ihnen wäre Liebres nicht geschehen. 
Oft blickte Herwig die Jungfrau forschend an; 
Sie schien so schön dem Degen und auch so wohlgethan. 
Daß es ihn im Herzen tief zum Seufzen brachte; 
Sie glich so sehr der Einen, an die er oft inniglich gedachte.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.