Full text: Prosaband (Teil 9 der Ausgabe A, Teil 6 der Ausgabe B, [Schülerband])

VIII. Bedeutende Ereignisse und 
Persönlichkeiten der Geschichte 
im neunzehnten Jahrhundert. 
Lin großes Muster weckt Nacheiferung und gibt dem Urteil 
höhere Gesetze. Fr. v. Schiller. 
H7. Napoleon und Goethe in Erfurt (2. Oktober 1(808). 
Frau von der Becke lernte Goethe den Minister Maret 
kennen, auf den er einen außerordentlichen Eindruck machte, 
und der davon dem Baiser erzählte, woraus Napoleon ihn 
sogleich am 2. Oktober zu sich einladen ließ. Die Rudienz 
rärfBfafo dauerte fast eine volle Ltunde. Ich (Kanzler von Müller) 
hatte Goethe bis ins Vorzimmer begleitet und harrte da seiner Rück¬ 
kehr. Nur Talleyrand, Berthier und Savary waren bei dieser Rudienz 
gegenwärtig. Gleich nach Goethes Eintritt in das kaiserliche Kabinett 
kam auch noch der Generalintendant Daru dazu. 
Der Kaiser saß an einem großen, runden Tische frühstückend. Zu 
seiner Rechten stand Talleyrand, zu seiner Linken Daru, mit dem er 
sich über die preußischen Kontributionsangelegenheiten unterhielt. Er 
winkte Goethe, näher zu kommen, und fragte, nachdem er ihn auf¬ 
merksam betrachtet hatte, nach seinem Rlter. Rls er erfuhr, daß er 
im sechzigsten Jahre stehe, äußerte er seine Verwunderung, ihn noch 
so frischen Aussehens zu finden, und ging alsbald zu der Frage nach 
Goethes Trauerspielen über, wobei Daru Gelegenheit nahm, sich näher 
über sie auszulassen und überhaupt Goethes dichterische Werke zu 
rühmen, namentlich auch seine Übersetzung des „Mahomet" von Vol¬ 
taire. „Das ist ein gutes Ztück!" sagte der Kaiser und setzte umständ¬ 
lich auseinander, wie unschicklich es sei, daß der Weltüberwinder von 
sich selbst eine so ungünstige Lchilderung mache. „Werthers Leiden" 
versicherte er siebenmal gelesen zu haben und machte zum Beweise dessen 
eine tief eindringliche Analyse dieses Romans, wobei er jedoch an ge¬ 
wissen Stellen eine Vermischung der Motive des gekränkten Ehrgeizes 
mit denen der leidenschaftlichen Liebe finden wollte. „Das ist nicht 
naturgemäß und schwächt bei dem Leser die Vorstellung von dem über¬ 
mächtigen Einfluß, den die Liebe auf werther gehabt, warum haben 
§ie das getan?"
	        
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