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voran. Er ist immer um sie, wacht über ihr. Die Pracht seines
Aufgangs verscheucht die Einsamkeit der Nacht, und wenn wir
wonnig erregt sein Erscheinen begrüßen, ist es, als ob auch er uns
10 zuriefe: Ich will euch nicht allein lassen. Immer freundlich, immer
behäbig strahlt er eine Fülle von Zufriedenheit und stillem Glück
der Erde und ihren Bewohnern zu. Schon das Kind auf dem
Arme der Mutter greift nach ihm, als ob es ihm die vollen Wangen
streicheln wollte. Selbst die Tierwelt ist nicht unempfänglich für
15 seine Wirkung. Ob auch die Blumen ihm ihren Kelch öffnen, ich
weiß es nicht; die Dichter, die alles erlauschen, sagen es ihnen nach.
Aber er ist auch wirklich, was er scheint, ein treuer Geselle der
Erde. Keinen Eigenwillen hat er, nur um sie dreht sich sein Dasein.
Und wie gut gezogen er ist! Immer bietet er ihr sein Gesicht,
20 niemals seine Rückseite dar.
2. Wie sieht nun aber die Oberfläche des Vollmonds aus?
Schon mit bloßem Auge bemerkt man auf der vollbeleuchteten,
weißen Scheibe dunklere Flecken, so daß sie wie gesprenkelt aussieht.
Bekanntlich hat die Einbildungskraft des Menschen daraus ver-
25 schiedene Gestalten abgelesen und Sagen daran geknüpft. Der
Mann mit den Rebenbüscheln ist jedermann aus den Tagen seiner
Kindheit eine geläufige Erinnerung. Auch die Gelehrten verfielen
beim ersten Anblick der dunkleren Stellen in einen Irrtum. Sie
hielten sie für Meere, und die Benennungen: das Wolkenmeer, das
30 Regenmeer, die fülle See, die heitere See u. s. f. sind bis auf den
heutigen Tag auf den Mondkarten stehen geblieben, obwohl man
längst erkannt hat, daß auf dem Mond keine Meere sein können.
3. Dagegen hat uns das Fernrohr gezeigt, daß die Mond¬
fläche von Bergen ganz bedeckt ist. Namentlich treten sie dann
35 schön vor das Auge, wenn die Sonne ihnen gerade aufgeht. Man
sieht dann nicht nur ihre Gipfel in feurigstem Glanze leuchten,
sondern kann auch ihre dunkeln, weitgezogenen Schatten bis tief in
das beleuchtete Land hinein verfolgen. Gerade hieran erhielt man
ein untrügliches Mittel, die Höhe der Berge fast bis auf das
40 Meter hinaus zu berechnen. So kommt es, daß wir die Höhe der
Mondberge viel genauer wissen als die Höhe des Himalaya und
anderer unzugänglicher Erdgebirge. Die Mondberge sind meist nach
bekannten Astronomen benannt. So liegt am rechten Rande des