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und das Beste falle einem stets zuletzt ein, so tat sie es immer
seltener, und zuletzt kam es kaum noch vor, daß auch nur noch
von dem Ringe gesprochen wurde. Zwar der Bauer selbst drehte
den Ring täglich wohl zwanzigmal am Finger um und besah sich
ihn, aber er hütete sich, einen Wunsch dabei auszusprechen.
Und dreißig und vierzig Jahre vergingen, und der Bauer und
seine Frau waren alt und schneeweiß geworden, aber der Wunsch
war immer noch nicht getan. Da erwies ihnen Gott eine Gnade
und ließ sie beide in einer Nacht selig sterben.
Kinder und Kindeskinder standen um ihre beiden Särge und
weinten, nnd^uls eins von ihnen den Ring abziehen und aufheben
wollte, sagte der älteste Sohn:
„Laßt den Vater seinen Ring mit ins Grab nehmen. Er hat
sein Lebtag seine Heimlichkeit mit ihm gehabt. Es ist wohl ein
liebes Andenken. Und die Mutter besah sich den Ring auch so oft;
am Ende hat sie ihn dem Vater in ihren jungen Tagen geschenkt."
So wurde denn der alte Bauer mit dem Ringe begraben, der
ein Wunschring sein sollte und keiner war, und doch so viel Glück
ins Haus gebracht hatte, als ein Mensch sich nur wünschen kann.
Denn es ist eine eigene Sache mit dem, was richtig und was falsch
ist; und schlecht Ding in guter Hand ist immer noch sehr viel mehr
wert als gut Ding in schlechter.
Richard Leander (Richard v. Volkmann).
62. Das Paar Pantoffeln.
Bagdad lebte ein alter Kaufmann, namens Abu Kasem,
:r wegen seines Geizes sehr berüchtigt war. Seines Reich-
lms ungeachtet waren seine Kleider nur Lumpen und
Lappen, sein Turban ein grobes Tuch, dessen Farben man nicht mehr
unterscheiden konnte. Unter allen seinen Kleidungsstücken aber er¬
regten seine Pantoffeln die größte Aufmerksamkeit. Mit großen
Nägeln waren ihre Sohlen beschlagen; das Oberleder bestand aus
soviel Stücken als irgendein Bettlermantel, denn in den zehn Jahren,
seitdem sie Pantoffeln waren, hatten die geschicktesten Schuhflicker
von Bagdad alle ihre Kunst erschöpft, diese Stücke zusammenzuhalten.