Full text: Deutsches Lesebuch für die mittlere und obere Stufe der ein- und zweiklassigen Volksschule, wie einfacher Schulverhältnisse überhaupt (Teil 2, [Schülerband])

17. Die Jugendjahre König Wilhelms I. 
71 
Seine Mutter, die unvergeßliche Königin Luise, pflanzte frühzeitig 
Mitleid und Erbarmen in das Herz ihrer Kinder und sah es gern, 
wenn diese wohlthätig gegen Arme und Verlassene waren. 
Preußens Fürsten sind als gute Regenten auch immer tüchtige 
Feldherren gewesen. Damit sie das werden konnten, mußten sie von 
Jugend auf den Kriegsdienst lernen. Seine Laufbahn als Soldat 
begann der Prinz schon im Jahre 1807. Als am Neujahrsmorgen die 
ganze königliche Familie, die damals in Königsberg war, dem geliebten 
Vater ihre Glückwünsche brachte, sagte er zu seinem Sohne Wilhelm: 
„Da an deinem Geburtstage vielleicht keine Gelegenheit sein wird, dich 
ordentlich einzukleiden, weil ihr nach Memel müßt, so ernenne ich dich 
schon heute zum Offizier und habe dir auch eine Uniform anfertigen 
lassen." 
Bis über sein 16. Jahr hinaus hatte der Prinz einen schwächlichen 
Körper. Daher ließ ihn sein Vater beim Beginn des Befreiungskrieges 
nicht sogleich mit in den Kampf ziehen. Es konnte seine Mutter im 
Jahre 1808 an ihren Vater über ihn also schreiben; „Unser Sohn 
Wilhelm wird, wenn mich nicht alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder 
und verständig; auch in seinem Äußern hat er die meiste Ähnlichkeit 
mit ihm." Nach der Schlacht bei Leipzig gestattete der König dem 
Prinzen die Teilnahme am Befreiungskämpfe. Im Februar 1814 
lieferten die verbündeten Truppen in Frankreich dem Feinde eine Schlacht 
bei Bar sur Aube (spr. Bar ßür Ohb), in welcher sich der Prinz aus¬ 
zeichnete. Die Preußen und Russen hatten sich auf den Weinhügeln 
festgesetzt, wurden aber von den an Zahl überlegenen Franzosen zurück¬ 
gedrängt. Der König setzte sich mit dem Kronprinzen und dem Prinzen 
Wilhelm an die Spitze eines Kürassier-Regiments und versuchte, den 
Platz wiederzugewinnen. Sie befanden sich einige Zeit in so heftigem 
Gewehrfeuer, daß ein Oberst sich vor den König warf und ihn beschwor, 
sich nicht länger der drohendsten Gefahr auszusetzen. Als der König 
die gelichteten Reihen eines russischen Infanterie-Regiments sah, sagte 
er zu seinem Sohne Wilhelm: „Reite einmal zurück und erkundige dich, 
was das für ein Regiment ist, und von welchem Regimente die vielen 
Verwundeten sind, die sich jeden Augenblick mehren!" Rasch gab der 
Prinz dem Pferde die Sporen und sprengte zu den fechtenden Bataillonen 
zurück. Ohne Angst erkundigte er sich nach dem Namen des Regiments, 
überzählte die Verwundeten und überbrachte seinem königlichen Vater 
die Nachricht von dem, was er gesehen und gehört hatte. Der König 
sagte kein Wort, aber die Umgebung desselben sah mit Stolz aus den 
mutigen Prinzen. Dieser schien gar nicht zu wissen, in welcher Gefahr 
er sich befunden hatte. 
Am 8. Juni 1815 fand in der Kapelle des Schlosses zu Char¬ 
lottenburg in Gegenwart der ganzen königlichen Familie die feierliche 
Einsegnung des Prinzen Wilhelm statt. In dem Glaubensbekenntnisse, 
das derselbe selbst verfaßt hatte, sagte er unter anderem: „Ich will mich 
meines hohen Standes wegen nicht für besser halten als andere Menschen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.