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R Aus dem Naturleben.
79. Unsre Zugvögel in der Fremde.
1. Der Vogel, welcher in die Fremde hinauszieht, hat vor dem
wandernden Menschen voraus, daß er in der Fremde allerorten bekannt
zu sein scheint. Die behende^Huierschwalbe segelt um das schlanke
Minarett, um die vereinzelt stehende Palme scheinbar mit derselben
Gleichgültigkeit herum wie um den Turm des Domes ihrer Heimat;
der Adler ist mit dem Palmenwalde ebenso vertraut wie mit dem
Föhrenwalde des Nordens; der Pirol versteckt sich in den dornigen
Ästen der Mimose des innerafrikanischen Urwaldes nicht minder ge¬
schickt als im Gezweige der deutschen Eiche; die Ente zieht auf des
Nilstromes Wellen ebenso gemächlich dahin wie auf dem Spiegel
ihrer heimatlichen Gewässer. Sie alle richten sich an den ihnen
fremden Orten sehr bald ein, wissen ihre Nahrung zu finden und be¬
geben sich des Nachts an bestimmte Schlafplätze, als hätten sie diese
jahrelang innegehabt. Dennoch zeigen sie deutlich, daß sie sich
zurück in die Heimat sehnen.
2. Ägypten ist für den vom Norden einwandernden Zugvogel
eine der wichtigsten Herbergen. Er findet hier, was er nur immer
wünschen mag: schroffe, steile und öde Gebirge, welche sich an
bebauten und bewaldeten Ebenen dahinziehen, lachende, von sandigen,
brennenden Wüsten begrenzte Fluren, den mächtigen Nil mit seinen
unzähligen Kanälen und die Küste des Mittelmeeres mit ihren Seen
und Sümpfen, die vom Nil aus mit süßem Wasser versehen werden.
Diese Seen und Sümpfe sind von bedeutender Ausdehnung, sehr reich
an Fischen und andern Wassertieren und deshalb ein Lieblingsauf¬
enthalt unzähliger Vögel, die in ihnen Nahrung finden. Die herr¬
lichsten Palmenwaldungen schließen sie ein und machen sie zu einem
paradiesischen Ruheorte der geflügelten Wanderscharen. Wenn sie
auch im Sommer von sehr vielen Vögeln belebt werden, so ist doch
die Zahl der im Winter hier wohnenden Zuggäste bei weitem größer.
Ihre Menge zu schätzen, ist ganz unmöglich; es scheint, als ob sich
HirtS Lesebuch für Pommern. Ausg. B. IIL 11