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Da zu gleicher Zeit die Türken auf Frankreichs Anstiften in Öster¬
reich einfielen, so hatte Ludwig am Rheine völlig freies Spiel. Der Kaiser,
von den Türken aufs äußerste geängstigt und vom Reiche verlassen, mußte
1685 abermals einen schmählichen Frieden schließen. Hätte der Branden¬
burger aus Groll über des Kaisers früheren Undank nicht stille gesessen,
so würde Straßburg nicht so leicht verloren gegangen sein. Aber es kam
dazu der alte Widerwille der Fürsten gegen die Städte. Mit Schaden-
fteude sah man eine stolze Stadt fallen. Ungeheure Verblendung hatte
sich aller bemächtigt, denen die Sorge für unser großes Vaterland an¬
vertraut war. Prophetisch hatte Kaiser Karl V. einst gesagt: „Wenn die
Franzosen vor Straßburg und die Türken vor Wien ständen, so würde ich
Wien fahren lassen und Straßburg retten."
Mit Recht ist unter allen Verlusten, die wir erlitten, der von Stra߬
burg am tiefsten gefühlt worden. Wolfgang Menzel.
237. Wie Slratzvirrg wieder unser wurde.
Am Abende des 6. August 1870 langte die Kunde von der Wörther
Schlacht in Straßburg an. Dann rasselte der Generalmarsch durch die
Straßen, die Tore der Festung schlossen sich, die Stadt ward in Be¬
lagerungszustand erklärt. Die Festungsgräben füllten sich mit Wasser;
vorzüglich angelegte Gräben ermöglichten die völlige Überschwemmung des
umliegenden Geländes, sodaß man fich nur von der Westseite her der
Stadt nähern konnte. Die Alleen, die nach den benachbarten Dörfern
führten, wurden umgehauen; die Landhäuser und alle Gebäude, die den
Deutschen als Deckung dienen konnten, wurden angezündet und dann von
der Festung aus in Grund und Boden geschossen.
Schon umschwärmten deutsche Reiter die Stadt. So lange die
badische Division Beyer allein vor der Festung lag, konnte die Ein¬
schließung nur unvollkommen sein. Am 14. August langte General
Werder mit gewaltigem Belagerungsgeschütz an. Die Aufforderung, die
Festung zu übergeben, hatte ihr Kommandant General Uhrich abgelehnt;
er erklärte, Stadt und Festung so lange zu verteidigen, wie noch ein
Soldat, ein Laib Brot und eine Patrone übrig seien. Da entschloß sich
General von Werder, zunächst die Wirkung einer Beschießung der Stadt
zu erproben, um durch dieselbe die Einwohner zu erschrecken und zu ver¬
anlassen, einen Druck auf den Kommandanten zur Übergabe auszuüben.
Er ließ den General Uhrich von seiner Absicht, die Stadt zu beschießen,
unterrichten und auffordern, das auf dem Münster zur Beobachtung der
deutschen Belagerungsarbeiten errichtete Observatorium zu entfernen, damit
er nicht genötigt sei, auf das herrlichste Denkmal gotischer Baukunst feuern
zu lassen, ebenso das nahe der Citadelle befindliche Militürhospital zu
verlegen, weil dasselbe in der Schußlinie der deutschen Batterien liege,
aber doch von dieser aus nicht deutlich gesehen werden könne. Beide
Forderungen wurden indes abgelehnt. Unter fortwährenden Kämpfen
hatten die Deutschen 13 Batterien bis auf ein Kilometer der Festung
nahe gebracht; am 24. August abends 1/a8 Uhr ertönte auf Kehler Seite