Full text: Deutscher Kinderfreund

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VI. Bilder aus der Erdkunde, 
biegen in eine andere Straße, aber das geht nicht mehr, und der Kaiser 
hält plötzlich vor uns. Halt! erschallt es, und alles ist totenstill; die 
Russen kreideweiß vor Angst, wir ruhig und gelassen wartend, was kommen 
würde. Da reitet der Kaiser, nachdem er uns eine Zeitlang gemustert, 
an uns heran: »Wer seid ihr?" — »Preußen, Ew. Majestät!" Ich stand 
ihm zufällig am nächsten und mußte antworten. »Was bedeutet dieser 
Aufzug?" — »Wir ziehen in unser Vaterland zurück." — »Gefällt es 
euch in meinem Lande nicht mehr, oder treibt man euch hier fort?" 
Liebe Mutter, da trat ich noch einen Schritt weiter vor und sagte: »Nein, 
Majestät! aber unser König ruft uns, unser Vaterland retten zu helfen, 
das der Feind bedroht; und da dürfen wir nicht fehlen!" Da leuchtete 
es hell auf in seinen Augen; lange betrachtete er uns, dann sprach er: 
»Ihr werdet es auch nicht mehr retten." Mutter, da zuckte ein heißer 
Schmerz durch unsere Brust; so groß hatten wir uns die Gefahr nicht 
gedacht. »Dann werden wir uns mit ihm begraben lassen!" Das war 
der Ruf, mit dem wir ihm antworteten. Da habe ich gesehen, wie der 
Mann, vor dem Millionen zittern, mit Mühe seine Tränen, die ihm in 
die Augen drangen, zurückhielt. »Zieht in Frieden, tut eure Pflicht und 
baut auf Preußens Freunde! Es wird nie untergehn, wie die Zeit sich 
auch gestalten mag. Geht mit Gott!" Dann sprach er einige Worte 
mit seinem Adjutanten, ein Wink mit der Hand, und die Musik vom 
Garderegiment Jngermanland war an unserer Spitze; dann: »Präsentiert's 
Gewehr!" und unter dem Rufe: »Es lebe der Kaiser, es leben die Prussek!" 
unter dem donnernden Rufe der Garde zogen wir weiter. Das, liebe 
Mutter, war ein schöner Augenblick meines Lebens, den ich nie vergessen 
werde. Jetzt bin ich nun wieder in Preußen, um das Weitere abzu¬ 
warten, und habe sofort an Dich schreiben wollen. Pi«s°n. 
277». vl6 Schlacht bei Königgrätz. 
(3. Juli 1866.) 
Der österreichische Oberbefehlshaber, Generalfeldzeugmeister 
von Benedek, hatte eine äußerst feste Stellung auf den Hügeln 
eingenommen, die sich südöstlich von Sadöwa bis in die Nähe 
der Elbfestung Königgrätz hinziehen; auf eine Linie von etwa 2 
Meilen Ausdehnung hatte er seine gesamte Macht, ungefähr 250000 
Mann, zusammengezogen. In der Nacht vom 2. auf den 3. Juli 
empfing der König die sichere Nachricht, daß Benedek einen An¬ 
griff unternehmen wolle. Gern hätte der König den durch die 
Schlachten und Märsche erschöpften Truppen einige Rasttage 
gegönnt, aber nun galt es, dem Feinde zuvorzukommen. Prinz 
Friedrich Karl, der den Österreichern zunächst stand, sollte früh-
	        
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