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68. In Kairo.
Der Ruf des mohammedanischen Priesters mahnte zum Morgengebete.
Ich erhob mich und trat an das Fenster. Unter mir auf einem kleinen
Platze stand ein Kawaß (Polizist) vor einem auf der Erde ausgebreiteten
Tuche, im Begriffe, die vom Islam vorgeschriebenen Kniebeugungen vor—
zunehmen. Eine Strecke weiterhin lag ein Ziegenhirt, umgehen von seiner
Herde, schon mitten im Gebet, mit der Stirn im Staube. Über das Dach
des Nachbarhauses erhoben sich hinter hochstämmigen Palmen drei schlanke
Minarets (Türme). Von der Galerie des nächsten war der Ruf ergangen,
der mich geweckt hatte.
Auf der einen Seite des Platzes steht mit ihren Grauen eine
Schar von Eselsbuben, den Fremdenführern in Ägyptens Hauptstadt.
Während ihre Tiere, mit roten Polstersätteln versehen, mit Troddeln
und Messingzieraten behängt, am ganzen Leibe rasiert und bisweilen
sogar bunt bemalt sind, sehen sie selbst wie wandelnde Lumpensammlungen
aus. Keiner trägt Schuhe, kaum einer mehr auf dem Leibe als den
blauen Baumwollenkittel des gemeinen Volks, über den einer oder der
andere eine alte Militärjacke oder einen europäischen Rock gezogen hat,
dem Armel und Kragen abhanden gekommen sind. Fast immer sich
zankend und raufend, beginnt der ganze Haufe bei der Annäherung
eines zu Fuße sich zeigenden Europäers wie ein Bienenstock zu schwärmen,
stößt sich, drängt sich, schließt den Fremden ein, preist ihm in gebrochenem
Englisch, Italienisch, Französisch die verschiedenen Esel an, schwingt sich,
um ihre Vorzüge zu zeigen, in den Sattel und jagt mit zurückgelegtem
Oberkörper und weit vorgestreckten nackten Beinen wie rasend im Kreise
herum, bis endlich der Fremde eines der Tiere besteigt oder sich mit
Püffen Bahn bricht.
Auf der andern Seite des Platzes hocken neben einem Pfeifenmacher,
der sein Handwerk unter freiem Himmel betreibt, Fellahweiber mit runden
Brotfladen, die sie den Vorübergehenden mit gellender Stimme anbieten.
Es sind Weiber vom Lande in dunkelblauem Hemde, Kopf, Schultern und
Rücken in einen Überwurf von gleicher Farbe gehüllt, das gelbe Gesicht
unter den kohlschwarzen Augen mit einem schmalen, lang herabhängenden
Zeugstreifen dem Blicke entziehend. Viele sind unverschleiert, und bei ihnen
sieht man, daß Kinn und Wangen mit blauen Punkten tättowiert sind.
Alle tragen breite, silberne Armspangen, die meisten Fingerringe von dem—
selben Metall mit bunten Steinen. Die Nägel an Händen und Füßen
find ziegelrot gefärbt, ebenso die inneren Handflächen. Die älteren sfind
abschreckend häßlich, auch die jüngeren haben außer den feurigen, mandel—
förmig geschnittenen Augen wenig Anziehendes.
Durch die Frauen marschiert ein Trupp Soldaten in weißen Baum—
wollenjacken, über denen sich die weißen Seitengewehr- und Patrontaschen—
Koppel kreuzen, in weißen, faltigen Kniehosen und weißen Strümpfen,
bunte Gürtel um den Leib, Feuerschloßflinten auf der Schulter, eine rote,
schirmlose Mütze mit blauer Seidenquaste auf dem rasierten Kopfe. Neben
ihnen sucht ein Zug von Eseln durchzukommen, die mit triefenden Wasser—
schläuchen aus Ziegenfellen beladen sind. Hinter den Eseln schleppen
Kawassen einen betrunkenen Soldaten zur Prügelbank, wo er die vom
Koran den Trinkern verordneten 80 Hiebe bekommt.