Full text: [Teil 2 = 7. und 8. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 7. und 8. Schuljahr, [Schülerband])

136 
68. In Kairo. 
Der Ruf des mohammedanischen Priesters mahnte zum Morgengebete. 
Ich erhob mich und trat an das Fenster. Unter mir auf einem kleinen 
Platze stand ein Kawaß (Polizist) vor einem auf der Erde ausgebreiteten 
Tuche, im Begriffe, die vom Islam vorgeschriebenen Kniebeugungen vor— 
zunehmen. Eine Strecke weiterhin lag ein Ziegenhirt, umgehen von seiner 
Herde, schon mitten im Gebet, mit der Stirn im Staube. Über das Dach 
des Nachbarhauses erhoben sich hinter hochstämmigen Palmen drei schlanke 
Minarets (Türme). Von der Galerie des nächsten war der Ruf ergangen, 
der mich geweckt hatte. 
Auf der einen Seite des Platzes steht mit ihren Grauen eine 
Schar von Eselsbuben, den Fremdenführern in Ägyptens Hauptstadt. 
Während ihre Tiere, mit roten Polstersätteln versehen, mit Troddeln 
und Messingzieraten behängt, am ganzen Leibe rasiert und bisweilen 
sogar bunt bemalt sind, sehen sie selbst wie wandelnde Lumpensammlungen 
aus. Keiner trägt Schuhe, kaum einer mehr auf dem Leibe als den 
blauen Baumwollenkittel des gemeinen Volks, über den einer oder der 
andere eine alte Militärjacke oder einen europäischen Rock gezogen hat, 
dem Armel und Kragen abhanden gekommen sind. Fast immer sich 
zankend und raufend, beginnt der ganze Haufe bei der Annäherung 
eines zu Fuße sich zeigenden Europäers wie ein Bienenstock zu schwärmen, 
stößt sich, drängt sich, schließt den Fremden ein, preist ihm in gebrochenem 
Englisch, Italienisch, Französisch die verschiedenen Esel an, schwingt sich, 
um ihre Vorzüge zu zeigen, in den Sattel und jagt mit zurückgelegtem 
Oberkörper und weit vorgestreckten nackten Beinen wie rasend im Kreise 
herum, bis endlich der Fremde eines der Tiere besteigt oder sich mit 
Püffen Bahn bricht. 
Auf der andern Seite des Platzes hocken neben einem Pfeifenmacher, 
der sein Handwerk unter freiem Himmel betreibt, Fellahweiber mit runden 
Brotfladen, die sie den Vorübergehenden mit gellender Stimme anbieten. 
Es sind Weiber vom Lande in dunkelblauem Hemde, Kopf, Schultern und 
Rücken in einen Überwurf von gleicher Farbe gehüllt, das gelbe Gesicht 
unter den kohlschwarzen Augen mit einem schmalen, lang herabhängenden 
Zeugstreifen dem Blicke entziehend. Viele sind unverschleiert, und bei ihnen 
sieht man, daß Kinn und Wangen mit blauen Punkten tättowiert sind. 
Alle tragen breite, silberne Armspangen, die meisten Fingerringe von dem— 
selben Metall mit bunten Steinen. Die Nägel an Händen und Füßen 
find ziegelrot gefärbt, ebenso die inneren Handflächen. Die älteren sfind 
abschreckend häßlich, auch die jüngeren haben außer den feurigen, mandel— 
förmig geschnittenen Augen wenig Anziehendes. 
Durch die Frauen marschiert ein Trupp Soldaten in weißen Baum— 
wollenjacken, über denen sich die weißen Seitengewehr- und Patrontaschen— 
Koppel kreuzen, in weißen, faltigen Kniehosen und weißen Strümpfen, 
bunte Gürtel um den Leib, Feuerschloßflinten auf der Schulter, eine rote, 
schirmlose Mütze mit blauer Seidenquaste auf dem rasierten Kopfe. Neben 
ihnen sucht ein Zug von Eseln durchzukommen, die mit triefenden Wasser— 
schläuchen aus Ziegenfellen beladen sind. Hinter den Eseln schleppen 
Kawassen einen betrunkenen Soldaten zur Prügelbank, wo er die vom 
Koran den Trinkern verordneten 80 Hiebe bekommt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.