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87. Des Mägdleins Ghrenkramz.
Ernst NMoritz Arndt.
Es wächst ein Blümlein Bescheidenheit,
der Mägdlein Kränzel und Ehrenkleid.
Wer solches Blümlein sich frisch erhält,
dem blühet golden die ganze Welt.
Auch wird ein zweites, das Demut heißt,
als Schmuck der Mägdlein hoch gepreist;
die Englein, singend an Gottes Thron,
es tragen als Demant in goldner Kron'.
Ein drittes Blümlein, wo diese zwei
nur stehen immer, ist dicht dabei,
heißt Unschuld, siehet gar freundlich aus,
das schönste Blümlein im Frühlingsstrauß.
So pflege, Mägdlein, der Blümlein drei
mit frommer Sorge und stiller Treu'!
Denn wer sie wahret, wird nimmer alt,
er trägt die himmlische Wohlgestalt.
88. Gottes Gericht im Süllingswalde.
August Vilmar.
In einem sächsischen Dorfe bei Gerstungen waren ein Bauer und
der Schäfer des Ortes in Hader und Streit geraten. Klein war die
Ursache des Streites, aber groß war der Grimm und das Gift in den
Herzen der Streitenden, und so blieb es nicht bei bösen Worten und
Fluchen und Schimpfreden, sondern es kam bald zu schlimmen und
blutigen Händeln, also daß die grimmige Blutgier in die Herzen einzog
und einer dem andern laut und öffentlich den Tod drohte. Obwohl
die Nachbarn sich der Sache ernstlich annahmen und zum Frieden
rieten und redeten, so half das doch nichts. Diese Ermahnungen und
Warnungen bewirkten gerade das Gegenteil: die feindseligen Gemüter
wurden noch feindseliger, böser und grimmiger und verstockten sich erst
recht in ihrem Haß und ihrer Mordlust. Der Schäfer war ein hand—
fester, starker Mann, dem der Bauer nicht gewachsen war, zumal da
jsener einen mit Eisen beschlagenen Schäferstab führte und durch
seine Hunde bei Tag und Nacht geschützt war, weshalb er auch
seinen Feind um so mehr hohnneckte, als er nicht nötig zu haben
meinte, sich vor ihm zu fürchten. Auch hatte er schon zu verschiedenen
Malen den Bauer seinen Schäferstab derb genug auf dem Rücken
fühlen lassen. Da geschah es, daß der Bauer im Walde einen ver—
lorenen Jagdspieß fand, und nun wurde aus der Mordlust die Mord—
that. Als in der nächsten Nacht der Schäfer in seiner Hütte schliefNo full text available for this image
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