Full text: (Für das 7. und 8. Schuljahr) (Abteilung 2, [Schülerband])

5211 — 
1811 Der Kampf der Wölfe und Pferde in der 
pontischen Steppe. 
Im Frühjahre, wo die Wölfe aus dem unwirtlichen Winter den größten 
Hunger mitbringen, sind die Kämpfe zwischen Wolf und Pferd am häufigsten 
und bedeutendsten. Da die Wölfe die schwächere Partei sind, so entwickelt 
sich bei ihnen große List und Gewandtheit, bei den Pferden aber ein großer 
und edler Gemeinsinn, der sie und ihre Kinder gewöhnlich rettet. Daß ein 
oder mehrere Wölfe bei helllichtem Tage sich in den Tabun (Pferdeherde) 
machen, kommt nicht vor; sie wissen recht wohl, daß sie da ohne Rettung 
verloren wären und von den Pferden dem platten Rasen gleich getreten 
würden. Bei Nacht und unter besondern Umständen, wenn z. B. die Wölfe 
zahlreich und die Pferde nicht zahlreich sind, geschieht es wohl, daß ein 
Rudel Wölfe mitten unter den Tabun gerät, und der Kampf entwickelt 
sich dann so: die zunächst angegriffenen Pferde, welche die Wölfe rochen, 
oder ihre leuchtenden Augen auf der Steppe funkeln sahen, spitzen die 
Ohren, brausen und wiehern und stoßen Töne durch die Nüstern, die man 
durch die Nacht weithin pfeifen hört. Auf den ersten Lärm springen so— 
gleich alle nahen Hengste, Wallachen und Stuten — denn bei der Wolfs— 
gefahr macht das Geschlecht keinen Unterschied und aller Mut ist gleich — 
herbei und setzen gerade auf die Wölfe ein. Diese werden dann durch den 
ersten wütenden Angriff der Pferde, den sie selber aufregten, erschreckt und 
ziehn sich leise ein wenig zurück. Indes geht das Geschrei unter den 
Pferden fort, und der ganze Tabun, weit gefehlt, daß er sich zersprengen 
sollte, drängt sich im Sturmlauf der gefährdeten Stelle zu. Die Mütter 
schreien nach ihren Jungen, und diese traben hinter den Alten her, im 
dicken Haufen Schutz suchend. Fühlen sich die Wölfe an Zahl stark und 
peinigt sie der Hunger, so weichen sie nicht willig, nähern sich hier und da 
wieder, und erhaschen vielleicht ein Junges, das täppisch und schreiend mit 
der Mutter herbeiläuft, die selber noch nicht wußte, wo eigentlich die Gefahr 
drohte. Die Mutter gerät außer sich und sprengt mitten unter die Wölfe, 
ihr Kind zu retten. Ällein sie verfehlt es. Bald sitzen auch ihr ein paar 
hungrige Rachen an der Kehle und legen sie in den Rasen. Aber nun 
fackeln die Pferde auch nicht länger. Sie nehmen ihre Jungen in die 
Mitte und die Stuten mit den Wallachen bilden einen Kreis, der aber nicht 
so starr mit den Vorderfüßen eingewurzelt dasteht, wie ihn unsere Bilder— 
bücher darstellen. Auf diesen Bildern haben es die Wölfe ziemlich bequem 
Sie hüten sich vor den Hinterfüßen der Pferde, und das Schlimmste, was 
ihnen begegnen kann, ist, daß sie sich den Gedanken an Füllenfleisch aus 
dem Sinn schlagen müssen. In der Wirklichkeit büßen sie ihre List ge— 
wöhnlich schwerer. Die Pferde setzen wie eine bewegliche Phalanx scharf 
in die Wölfe ein und machen manchem von ihnen das verwünschte Augen⸗ 
leuchten vergehen; denn sie wollen sich nicht bloß verteidigen, sondern auch 
ihren Feind vernichten. Die Hengste gehen nicht mit in jene Quarres, 
soͤndern bleiben draußen und umtoben es schnaubend mit wallender Mähne 
und mit bäumendem Schweife, als Feldherren, Fahnenträger und Schlacht⸗ 
trompeter. Wo sie den Wolf im Grase schleichen sehen, da sprengen sie 
Maul auf Maul gegen ihn ein und schlagen ihn mit den Vorderhufen 
nieder. Man denkt bei uns, daß die Pferde alles in den Hinterfüßen 
124*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.