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auf dem neuen Markte angesammelt. Da strömte eine Menge flüch—
tiger Menschen durch das Spandauer Thor herbei. Es waren jene
Unglücklichen, welche vor den in die Mark gefallenen Polen und
Litauern flohen und nichts als das nackte Leben gerettet hatten. Das
Schicksal dieser Flüchtlinge erfüllte das Volk mit Mitleid, aber auch
mit Erbitterung. Der Zorn richtete sich besonders gegen den Bischof
von Lebus, welcher jene Menschen in das Land gerufen hatte. Schnell
steigerte sich der Unwille des Volkes zur Wut. Da verbreitete sich
plötzlich die Nachricht, der Propst Nikolaus von Bernau, ein Freund
des Bischofs von Lebus, sei in der Stadt und zwar ganz in der
Nähe, nämlich in der Wohnung des Propstes zu Berlin neben der
Marienkirche. Sogleich wandte sich ein Volkshaufe dorthin, sprengte
die Thür und drang in die Zimmer ein. Vergeblich waren be—
ruhigende Worte und Ermahnungen. Nikolaus ward ergriffen, her—
au? gerrt und an die Kirche geschleppt, wo jene Flüchtlinge lagerten.
Ihr Elend rührte ihn, aber es war kein Halten mehr; denn das
Volk schlug in blinder Wut auf ihn ein und tötete ihn mit Knütteln
und Steinwürfen. Daran hatte man noch nicht genug. Auch die
vom Markte Anströmenden wollten ihren Zorn stillen. Sie schleiften
den Leichnam mit sich fort auf den Marktplatz, schleppten Holz zu—
sammen, türmten einen Scheiterhaufen auf und verbrannten ihn unter
rohen Verwünschungen.
Als das geschehen war, verlief sich die Menge. Bald auch kehrte
die Besinnung zurück. Die Reue über diese mörderische That und
die Furcht vor den Folgen hielten das Volk in banger Erwartung.
Besonders waren die Bürgermeister und Ratleute in Sorge; denn sie
wußten wohl, daß die Schwesterstädte Berlin und Kölln schwere Strafe
treffen würde. Bald sollte sich erfüllen, was sie befürchtet hatten.
Der Bruder des Ermordeten, ein Geistlicher in Eberswalde, wandte
sich nach Rom an den Papst und bat um Bestrafung des Verbrechens.
Vergeblich erbot sich der Rat, den Bruder mit Geld zu versöhnen.
Dieser wollte nichts von Milde und Verzeihung wissen; er forderte
Rache für das vergossene Blut. Da wurden Berlin und Kölln von
dem Papste mit dem Interdikt) belegt. Das war die härteste
Strafe, welche in jenen Zeiten ein Volk treffen konnte. Dann durfte
kein Gottesdienst mehr gehalten werden. Die Kirchenglocken waren
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) Interdikt — Kirchenbann; „Untersagung“ oder Verbot gottesdienstlicher
Handlungen.
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