— 393 —
Nun, mir ist's auch so reeht. Wir können ja diesmal warten.
Jeder Tag, den er drinnen verliert, zehrt an seinen Leibeskräften,
und für uns werden die Tage zuletzt so gleiebgültig, daß man gar
nicht mehr weib, ob Sonntag oder Wochentag ist. Wir haben
unsere Aufgabe, und die wird abgesessen, mag es darüber No-
vember oder Dezgember werden. Was sind ein paar Monate in dem
Leben eines Volkes, das die Grundlage zu einer unabsebbaren Zu-—
kunft legen will!
Die Lage, in der wir also geduldig noch einige Zeit auf die
Entscheidung warten wollen, ist für einen Laien gewib nicht ver-
lockend, und ieh wünschte Ihnen nicht, dab Sie zum Dank für Ihre
freundliche Erinnerung an uns einmal einen ‚sehlechten“ Tag hier
mitmachen müßten. Ieh kann mieh noch dunkel des Gefühbls von
Befremden erinnern, als ich vor 7 Mochen zuerst nach Maizieres
kam, und damals war es noch warmer September und das Lager
dieht an einem gröberen Dorfe, wo man doch einmal unterducken
konnte. Jetzt aber liegen wir in einer flachen Bodenfalte, auf einer
Wiese, in der das Wasser der benachbarten Ton- und Lehmäcker
ausammenrieselt, und ziemlich weit von aller ,menschlichen“ Hilfe
entfernt, dié Leute in langen, sehlecht mit Brettern gedeckten Erd—
hütten, wir Offiziere in einer Bretterhütte, in der es bachweise durch-
regnet, so dab wir immer darauf warten, dab sioh nächstens aueh
einmal ein Frosch unter den lose gelegten Brettern, dem sogenannten
Fubboden, zeigen soll. Mäusebesueh haben wir ohnehin jede Nacht
mit Rücksicht auf unseren Lebensmittelvorrat; docherührt sieh solcher
Kleinigkeiten wegen niemand, und man überläüßt es dem Morgen, die
Gesellschaft wieder hinauszubringen. Hose, Rock und Paletot Lommen
einem überhaupt nicht mehr vom Leibe; selbst die Mütze setæt man
des Nachts nur dann ab, wenn man eine besonders günstige Liebes-
Leibbinde*) besitæt, die dann als Schlafmütze bis über die Ohren ge-
zogen wird. Ieh bin nur froh, daß ieh miceh trotz dieser wider-
wartigen Zustände ganz wohl befinde. Wenn nur aueh unsere Leute
so durehhalten wie bisher! Unsere Division hat blob 209, RKranke,
bei anderen soll es viel soblimmer sein, bei unserem Bataillon sind
es noch viel weniger. Nur dreekig sehen wir aus über alle Vor-
stellung, und ich phantasiere niebt schöner, als wenn ieh mir den
Zustand in und nach einem warmen Bade vorstelle. Aus dem Koch-
geschirrdeckel, mit einem ewig nassen und sehmutzigen Handtueh
kann man sieh kaum notdürftig Gesicht und Hände reinlieh halten.
Glauben Sie aber nieht, dab wir deshalb auoh nur eine Stunde
mibßmutig wären. Wer gerade an der Reihe mit Leibschmerzen ist,
M „Liebesgaben“ (z. B. „Liebes Zigarren“) nannte man die für die Krieger
bestimmten Geschenke.