Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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Mutter an der Hand führte und ich immer drei Schritte machen 
mußte, so oft sie einen tat, warf ich meinen kleinen Kopf auf zu 
ihrem guten Gesicht und fragte: „Weshalb steht denn der Reiter 
allfort auf der Wand oben, und weshalb reitet er nicht zum Fenster 
hinaus auf die Gasse?“ Da antwortete die Mutter: „Weil du so 
kindische Fragen tust, und weil es nur ein Bildnis ist, das Bildnis 
des heiligen Martin, der ein sehr guttätiger, frommer Mann gewesen 
und jetzt im Himmel ist.“ „Und ist das Roß auch im Himmel?“ 
fragte ich. „Sobald wir zu einem rechten Platz kommen, wo wir 
rasten können, will ich dir vom heiligen Martin etwas erzahlen,“ 
sagte die Mutter und leitete mich weiter, und ich hüpfte neben ihr 
her. Da wartete ich schon sehr schwer auf das Rasten, und in 
einem fort rief ich: „Mutter, da ist ein rechter Platzl 
Erst als wir in den schattigen Wald hineinkamen, wo ein 
glatter, moosiger Stein lag, fand sie's gut genug; da setzten wir 
uns nieder. Die Mutter band das Kopftuch fester und war still, als 
habe sie vergessen, was sie versprochen hatte. lIch starrte ihr fort 
und fort auf den Mund, dann guckte ich wieder zwischen den 
Baumen hin, und mir war ein paarmal, als hätte ich dureh das Ge- 
höõlz den schöõnen Reitersmann reiten sehen. 
„Ja, mein Bübel,“ begann die Mutter plõtzlich, „allzeit soll 
man den Armen Hilfe reichen um Gottes willen. Daß im Spatherbst 
der eiskalte Wind ũber unsere Schafheide streicht, das weißt du 
wohl, hast dir ja selber dort im vorigen Jahre schier die Taãtzlein 
erfroren. Siehst du, völlig eine solche Heide ist's auch gewesen, 
über die der Reitersmann Martinus einmal geritten ist an einem 
spãten Herbssstabend. Steinhart ist der Boden gefroren, und das 
klingt ordentlich, so oft das Roß seinen Fuß in die Erde setct. 
Die Schneeflõcklein tãanzeln umher, kein einziges vergeht. Schon 
will die Nacht anbrechen, und das Roß trabt ũber die Heide, und 
der Reitersmann zieht seinen weiten Mantel zusammen, so eng es 
halt hat gehen mögen, Bübel; und wie er so hinfährt, da sieht er 
auf einmal ein Bettelmannlein kauern an einem Stein, das hat nur 
ein zerrissenes Jõppel an und zittert vor Kalte und hebt sein be- 
trübtes Auge auf zum hohen Roß. Hu, und wie das der Reiter 
sieht, halt er sein Tier an und ruft zum Bettler nieder: Ja, du lieber 
Mann, was soll ich dir reichen? Gold und Silber hab' ich nicht, 
und mein Schwert kannst du nimmer gebrauchen. Wie soll ich dir 
helfen? — Da senkt der Bettelmann sein weißes Haupt nieder gegen 
die halbentblöbßte Brust und tut einen Seufzer. Der Reiter aber 
zieht sein Schwert, zieht seinen Mantel von den Schultern und
	        
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