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2. Laufkäfer hasten durchs Ge—
sträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen,
Die Bienen hängen Zweig um
Zweig
Sich an der Edelheide Glöckchen,
Die Vögel schwirren aus dem
Kraut
Die Luft ist voller Lerchenlaut.
3. Ein halb verfallen niedrig
Haus
Steht einsam hier und sonnbeschie—
nen,
Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
Behaglich blinzelnd nach den
Bienen;
Sein Junge auf dem Stein davor
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälber—
rohr.
4. Kaum zittert durch die
Mittagsruh'
Ein Schlag der Dorfuhr, der ent⸗
fernten;
Dem Alten fällt die Wimper zu,
Er träumt von seinen Honigernten.
Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.
Theodor Storm.
176. Das Vöglein auf dem Weihnachlsbaum.
1. Ich hatt' ein Vöglein, das war wunderzahm,
Daß es vom Munde mir das Futter nahm.
Es flatterte bei meinem Ruf herbei
Und trieb der muntern Kurzweil vielerlei;
Drum stand das Türchen seines Kerkers auf
Den ganzen Tag zu freiem Flug und Lauf.
Im Käfig war es aus dem Ei geschlüpft,
War nie durch Gras und grünes Laub gehüpft
Und hatte nie den dunklen Wald geschaut,
Wo sein Geschlecht die leichten Nester baut.
2. Und wie der Winter kam ins Land,
Das Weihnachtsbäumchen in der Stube stand;
Da fand mein schmuckes, zahmes Vögelein
Neugierig bald sich in den Zweigen ein.
Wohl trippelt es behutsam erst und scheu
Dem Rätsel zu, so lockend und so neu,
Doch bald war's in dem grünen Reich zu Haus,
Wie prüfend breitet es die Flügel aus:
So freudig stieg und fiel die kleine Brust,
Als schwellte sie der Tannenduft mit Lust.
Und wie es nie vom Käfig noch erklang,
So froh, so schmetternd tönte sein Gesang!