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5. Eine Mutter.
er Oberlehrer Sven Holmberg wohnte seit fünf Jahren in seiner
einfachen, kleinen Wohnung in einer Quergasse des ftillen Städtchens
Dunkelburg und kannte alle Leute, die in dem Hause aus und ein gingen.
Nun hatte er seit fast einer einen alten, grauen Kopf dort unten
ermißt und begann sich darüber beunruhigen, wie das bei so kleinen Ver—
u leicht vorkommt, obwohl der alte, graue Kopf nur einer Waschfrau
gehorle und ihm vbllig gleichgültig war Als er am sechflen Tage in die Schule
ging, konnte er es unmöglich unterlassen, eine Tüt im uneren Stog zu
öffnen und zu fragen: „Wie geht es der Frau Petersson? Ich habe sie seit
mehreren Tagen nicht gesehen.“ Er erhielt die Antwort: „Frau Petersson
ist heute nacht um ein UÜhr gestorben.“ Der Tod dieser alten Frau, die
Dr. Holmberg ja nichts anging, gab aber den Anlaß dazu, daß er, dem zwar
eine große Familie, aber geringe Einkünfte beschieden waren, einige Tage
nach Beginn der Osterferien eine Reise weit fort in eine andre Provinz unter⸗
nahm. Es war dem Oberlehrer nämlich eingefallen, daß dort ein alter,
grauer Kopf ebensogut wie der hier zur lehten Ruhe eingehen könnte.
Das, was Frau Petersson betroffen hatte, zauberte ihm fortwährend dieses
Haupt vor die Seele, das sich viele Jahre jeden Wend iber sein Bett gebeugt
hatte und ihm mit liebevollen Gedanken auf seinem Wege in die Welt hinaus
gefolgt war, bis er es nun ganze sieben Jahr aus den Augen verloren hatte.
2. Er war kein herzloser Sohn. Er schrieb jedes Jahr drei- bisweilen
viermal an seine alte Mutter, und oft lag eine Banknote in dem Briefe, die
einem Bankier zwar keinen sonderlichen Eindruck gemacht hätte, die aber groß
für einen armen Lehrer und furchtbar groß für ein Mutterauge war.
Seine Frau schrieb freundliche Grüße auf kleinen, niedlichen Weihnachts⸗
karten, und als die Ansichtspostkarten aufkamen, versuchten die Kinder hier
und da, der lieben Großmama eine Vorstellung davon zu geben, wie herr—
lich es hier wäre, und welche Paläste sie in Dunkelburg hätten.
Aber jede Frage in den von einer alten Näherin für die greise
Schmiedswitwe geschriebenen Briefen, ob sie niemals mehr ihren Sohn
wiedersehen könnte, wurde mit einem kurzen: „Vielleicht im Sommer“ be—
antwortet. — Jedoch mit jedem Sommer, der verging, wurde ihre Hoff—
nung, ihn zu sehen, schwächer, und ihre Augen wurden matter.
Die schüchternen, zitternden Fragen der Mutter in den unbeholfenen
Schriftzügen der Näherin hatten nichts gegen ein dünnes Portemonnaie
und ein von schweren Sorgen bedrücktes Herz vermocht. Aber der Choral,
der gesungen wurde, als man die Leiche der Frau Petersson hinaustrug,
erklang wie ein Reisebefehl, bevor es zu spät wäre.
3. Dr. Holmberg klopfte an jenem regnerischen Märztage lange ver—
geblich an die Tür der kleinen Hütte, die einst sein Elternhaus war.
Schließlich wurde die Tür heftig aufgerissen. Eine rohe, heisere Stimme