Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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und ohne langes Besinnen entschlossen wir uns, die Spitze des Ber— 
nina, die hoch zu unserer Rechten aufragte, auf möglichst geradem 
Wege zu gewinnen. Freilich riskierten wir, bei diesem unseres 
Wissens ersten Versuche steckenzubleiben und Mühe und Gefahren 
umsonst auszustehen; aber der Reiz des Unbekannten trieb uns 
vorwärts. Die Schwierigkeit, sehr steile Felsklettereien durchʒzuführen, 
hängt viel weniger von der Steilheit der Wand als von der Be— 
schaffenheit des Felsens selbst ab. Der Fels, mit dem wir es zu 
tun hatten, war, zart ausgedrückt, von sehr zweifelhafter Güte, wie das 
ja oft bei Granit vorkommt; daher erforderte das Aufklettern an 
dieser Wand, bei der das häufige Einsetzen der Hände in kleine, 
mit Eis ausgekleidete Felsspalten die Finger noch überdies klamm 
und schmerzend vor Kälte machte, ungeteilte Aufmerksamkeit und 
Vorsicht. Um 8 Uhr begannen wir die Arbeit, eine halbe Stunde 
später hatten wir sie vollendet, standen auf dem Kamm des Grates 
und hatten gewonnenes Spiel. Um 10 Uhr war die Spitze erreicht. 
Fast zwei Stunden hielten wir uns oben auf. In ruhiger Behag⸗ 
lichkeit konnte ich all die Freuden der Umschau genießen, die der 
Mehrzahl der Menschen verschlossen bleiben. 
Um 12 Uhr wurde der Rückweg vom Piz Bernina angetreten. 
So lästig und ermattend das Aufsteigen über diese sanft geneigten 
Schneefelder ist, so angenehm uud leicht erscheint das Hinuntersteigen, 
namentlich wenn der Schnee nicht zu weich ist und man nur bis 
an die Knöchel statt bis an die Knie einsinkt. Bei hinlänglich 
hartem Schnee „fährt“ man hinab, nämlich man stützt sich auf 
den Bergstock und fährt auf den Stiefelsohlen wie ein Schlitten 
oft pfeilschnell hinab, wenn nötig mit dem Bergstock leitend, hemmend 
oder ganz anhaltend. Das Hinabfahren ist ein Hochgenuß, allein 
man muß vorsichtig sein und auf das Schneefeld genau achtgeben. 
Weiter unten, da wo das Firnfeld in den eigentlichen Morteratsch- 
Gletscher übergeht, zeigten sich weite Querrisse, deren Umgehung 
ʒiemlich zeitraubend war. Es mochte 2 5 Uhr geworden sein, als 
wir uns wieder mikten in dem oben erwähnten „Gletscherfall“ 
befanden und unsere Spuren vom Worgen erreicht hatten. Die 
Eisgestalten um uns herum, auf ihren durch Abschmelzen häufig 
dünn gewordenen Füßen, sahen unheimlich aus; wenn einer von 
diesen plötzlich überstürzte, so konnte er andere, weniger feststehende 
mit sich fortreißen und Eismassen in Bewegung setzen, denen 
wir keinen Widerstand zu leisten vermochten, und die uns auf 
ihrer Bahn niederwerfen mußten. — Wir standen gerade still, um
	        
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