Full text: Zweites Lesebuch für die Oberstufe (Teil 6, [Schülerband])

Aus Schillers Leben. 
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Im Januar 1805 erkrankte Schiller. Seiner Frau suchte er jede bange 
Ahnung von Gefahr fern zu halten. Als er einmal gegen Mitternacht 
eine Ohnmacht herannahen fühlte, bat er sie, sich zu entfernen, und da 
sie zögerte, wiederholte er dringender seinen Wunsch. Kaum war sie die 
Treppe hinunter, so sank er bewußtlos in die Arme seines Freundes 
Voß, der während seiner Krankheit nicht von seiner Seite wich. Aus 
Schonung gegen seine Frau hatte er die herannahende Ohnmacht zurück— 
gehalten, welche nun um so heftiger hereinbrach. Voß rieb Brust und 
Schläfen, und als dem Kranken das Bewußtsein zurückgekehrt war, fragte er 
sogleich: „Hat meine Frau etwas gemerkt? Habe ich auch verwirrt ge— 
sprochen?“ — Als ihm beides mit nein beantwortet wurde, kehrte schnell 
seine gutmütige Laune zurück. Schiller erholte sich wieder. Am 29. April 
besuchte er noch das Theater; es war das letzte Mal. 
Den 8. Mai brachte er meist still und oft schlummernd zu. Seine 
Kinder verlangte er selten zu sehen; die jüngste Tochter, die er sich bringen 
ließ, betrachtete er mit Rührung und Wohlgefallen, indem er sie bei der 
Hand faßte. Am Abend, als man ihn fragte, wie es ihm gehe, antwortete 
er, offenbar mit Bezug auf seinen innern Zustand: „Immer besser, immer 
heiterer!“ Er verlangte, man solle den Vorhang öffnen, er wolle die 
Sonne sehen. Mit freundlichem Blicke schaute er in den schönen Abend— 
strahl, und die Natur empfing seinen Scheidegruß. 
Morgens am 9. Mai schlummerte er ein und schlief bis gegen 10 Uhr. 
Dann trat Besinnungslosigkeit ein, und er phantasierte in unzusammen— 
hängenden Worten. 
Die Gattin kniete am Bette, die Schwägerin stand mit dem Arzte 
am Fuße des Lagers und legte gewärmte Kissen auf die erkaltenden Füße. 
Da fuhr es wie ein elektrischer Schlag über seine Züge. Sein Haupt sank 
zurück, die vollkommenste Ruhe verklärte sein Antlitz. Die Seele hatte sich 
gelöst. Der älteste Sohn, Karl, lag auf dem Boden und wehklagte; Ernst 
saß in der Ecke, die Hände gefaltet, und weinte gelassener; die kleine 
Karoline, die nicht wußte, was das zu bedeuten habe, sagte ganz ruhig: 
„Der gute Papa ist tot!“ Als sie aber die Mutter heftiger weinen sah, 
fing auch sie an zu weinen und verbarg das Gesicht in ihrem Schoße. 
Goethe lag schon längere Zeit krank danieder. Als ihm die Kunde von 
dem Tode des Freundes überbracht wurde, sagte er: „Ich habe einen Freund 
verloren und in ihm die Hälfte meines Daseins.“ Groß war die Trauer 
in ganz Deutschland über den frühen Tod des großen Dichters. 
Schiller war ein überaus liebenswürdiger, durch und durch edler 
Mensch; Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit durchzogen sein ganzes Wesen
	        
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