Full text: Lesebuch für die Oberstufe (Teil 4, [Schülerband])

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A. Haͤusliches Leben. 
6. Arbeit ist des Bürgers Zierde. 
44. Von der Arbeit. 
1. Zu Herrn Feldhausen, einem wohlhabenden Gutsbesitzer, kam eines 
Tages ein kräftiger Mann und bat um ein Almosen. „Wie,“ fragte der erstere, 
„schämt Ihr Euch nicht zu betteln?“ 
„Ich kann keine Arbeit finden,“ erwiderte der Bettler. 
„Ich will Euch Arbeit verschaffen,“ versetzte Herr Feldhausen. „Wenn 
Ihr mir diesen Haufen Holz von der linken Seite des Hofes auf die rechte 
legt, erhaltet Ihr zwei Mark. Es ist nicht ehrenhaft, Geld zu nehmen, 
das man nicht verdient hat, und man muß die Bettelei nicht fördern.“ 
2. Nach einigen Stunden war dies fertig gebracht, und der Gutsbesitzer 
fügte, als er den Mann bezahlte, hinzu: „Wenn Ihr morgen keine andre 
Arbeit gefunden habt, könnt Ihr wiederkommen.“ Der Mann kam auch am 
nächsten Tage wieder, und Herr Feldhausen ließ ihn für denselben Lohn das 
Holz von der rechten Hofsseite auf die linke legen. Während einiger Tage 
wurde so das Holz von links nach rechts und von rechts nach links gebracht, 
bis endlich der Arbeiter ausblieb, obgleich er regelmäßig Bezahlung er— 
halten hatte. 
Der Bettler hatte es unerträglich gefunden, seine Kräfte anzustrengen, 
ohne daß ein nützlicher Erfolg dadurch erzielt wurde. 
3. Im Dorfe unterhielt man sich lange über diese Geschichte, und jeder— 
mann war der Ansicht, daß arbeiten etwas andres ist, als Arme und Beine 
bewegen. Die Arbeit ist immer auf einen nützlichen Zweck gerichtet, sie will 
schaffen, hervorbringen. Die einen schaffen, indem sie den Boden bearbeiten und 
Bodenerzeugnisse einernten, andre bearbeiten das Eisen oder das Holz, spinnen, 
weben und erzeugen Gegenstände des Gewerbfleißes auf tausenderlei Weise; 
andre verwenden ihre Arbeit auf die Fortschaffung dieser Gegenstände, auf 
ihre Verpackung u. s. w., und für alle diese Dinge müssen sie bezahlt werden. 
Wie würden wir Kaffee aus Brasilien, Pfeffer aus Ostindien, warmes 
Pelzwerk aus Rußland haben, wenn es keinen Handel gäbe? 
4. Auch wer lernt, arbeitet. Er schafft sich Kenntnisse und Einsichten, 
wodurch er zu einem unterrichteten und guten Menschen wird, dem es leichter 
fällt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und in ehrlicher Arbeit sich und seinen 
Nebenmenschen nützlich zu sein. Der Lehrer arbeitet, indem er unterrichtet, 
der Arzt, indem er heilt. Ja, man arbeitet sogar, indem man Gegenstände 
herstellt, die zum bloßen Vergnügen andrer dienen, und von diesen gekauft 
werden, weil es jedem erlaubt ist, sich Erholung zu verschaffen, wenn er fleißig 
gearbeitet hat.
	        
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