Full text: [Teil 5 = (5. und 6. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 5 = (5. und 6. Schuljahr), [Schülerband])

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Schultern vermögen.“ Und hiermit hob er die Bürde von dem 
Rücken des Alten, ließ sich mit ihm in den Schatten einer be¬ 
jahrten Eiche nieder und zog ein Stück nahrhaften Brotes nebst 
einer Flasche stärkenden Getränkes hervor. „Iß nun und trink, 
Väterchen!“ sprach er und reichte ihm beides hin. Mit zittern¬ 
der Begierde griff der Alte danach und verzehrte es mit Hei߬ 
hunger, während der Jüngling sich mit ihm in freundlichen 
Gesprächen unterhielt. 
„Auf nun, daß wir die Stadt erreichen, ehe die Sonne sich 
neigt!“ sprach endlich der Jüngling und erhob sich zuerst von 
dem moosigen Sitze. Wehmütig blickte der Greis auf feine Bürde 
und bittend in die blauen Augen seines Begleiters. Er glaubte 
in ihnen die Gewährung seines Wunsches zu lesen, als dieser auch 
wirklich nach der Last griff, aber leider nicht, um sie zu teilen 
oder sie selbst zu tragen, sondern um sie wieder auf die Schultern 
des Alten zu legen. Erschrocken sah. dies der Greis, aber zu seiner 
Verwunderung fühlte er sich von dem Genoffenen so gestärkt, daß 
er die Bürde kaum halb so schwer fand. Als nun beide sich am 
Ende des Waldes trennen wollten, sagte der Alte: „Du hast, edel¬ 
mütiger Jüngling, mir besser geholfen, als ich gewünscht hatte; 
du solltest meine Last mir abnehmen und gabst mir statt dessen 
Kraft, sie selber zu tragen. Aber nun sage mir auch, ehe wir 
scheiden, wer du bist, freundliche, liebe Seele!“ — „Ein Nach¬ 
ahmer der göttlichen Vorsehung,“ versetzte der Jüngling; „sie 
nimmt nicht immer die Last von dem Menschen, aber sie reicht 
dem vertrauenden Beter das Brot der Stärkung und den Becher 
des Trostes und hilft ihm so samt seiner Bürde zum Ziele.“ 
Bei diesen Worten verklärte sich das Antlitz des Jünglings, 
und ohne seinen Namen zu nennen, entzog er sich durch einen 
langen Busch weg den Augen des Alten. Dieser aber faltete seine 
Hände zu Gott, und in seinen aufwärts gerichteten Augen glänzten 
Thränen des Dankes. >. Fr. Schlag. 
87. 
Geduld. 
1. Es zieht ein stiller Engel durch dieses Erdenland, 
zum Trost für Erdenmängel hat ihn der Herr gesandt. 
In seinem Blick ist Frieden und milde, sanfte Huld. 
O folg' ihm stets hienieden. dem Engel der Geduld! 
2. Er fuhrt dich immer treulich durch alles Erdenleid 
und redet so erfreulich von einer schönern Zeit; 
denn willst du ganz verzagen, hat er doch guten Mut; 
er hilft das Kreuz dir tragen und macht noch alles gut.
	        
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