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189. Der Lauf des Wassers.
1. Die Quello.
Das Wassertröpflein war vom Himmel herabgefallen auf die
durstige Erde. Es traf ein andres Wassertröpflein an und noch eins
und ĩmmer mehr. Die sanken mit ihm tief und immer tiefer in den
Boden. Als nun so viele Tröpflein beisammen waren, bekamen sie
grobe Kraft und sagten: „Wir wollen uns unten am Rande des Berges
ein Loch bohren, damit wir hinausgucken und die liebe Sonne wieder
sehen können.“ Das faten sie aueh und guckten hinaus und sahen
die Sonne und den Himmel und um sie ber die grüne Wiese, die
mit Blumen übersät war.
Da konnten sie nicht still sein, sondern flüsterten und murmelten
fröhlich und sprangen über die Grashalme hinweg. Aber durch die
öffnung, die sie gebohrt hatten, kam immer mehr Wasser geslossen.
„Ei, das ist ja eine Nare Quellel sagten die Kinder und schöpften
mit den Händen das Wasser und tranken davon.
2. Der Bach.
Es kam immer mehr Wasser aus der Erde nachgeflossen und
rieselte durceh die Wiese hinab und schlängelte sich weiter durch das
Gras an gelben, roten, blauen und weiben Blumlein vorüber. Die
sagten: „O wie schön! Da kommt das Bächlein und netet unsre
Würzelchen! Bleibe hier, liebes Bächlein!“ Aber es antwortete:
„Ach nein, ach nein; es kann nicht sein!
Mub immer wieder ins Tal hernieder,
stots abwärts ziehn, weibß nicht wohin.“
Als es noch ein Stückchen weiter kam, flob ein andres Bäch-
lein von der Seite daher, grübte und sprach: „Laß uns zusammen
dureh die Lande ziehen!“ — „Ja, komm nur mit, du lieber Gesell!“
erwiderte das Bächlein, und so zogen sie zusammen weiter. Bald
kamen aueh noch andre Bäche hinzu und zogen mit, immer weiter.
In das Büchlein fielen mancherlei Samenkörner von den Blumen,
Bũumen und Strãuchern. Die schwammen aufdem Wasser hin, setzten
sich dann an das Ufer und gingen auf. Da blühten nun am Bãchlein
die schönen Blümlein, und Enlen- und Weidenbüsche wuchsen am
Ufer auf. Sie gaben dem Wasser den hühlen Schatten, damit es nicht
austrocknete, und das Bächlein netzte ihré Wurzeln. Die Kinder
setzten sich an das schattige Ufer, spielten und machten sich Pfeifen,
und die Vöglein in den Gebüschen sangen ihre süben Weisen.