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wird von der Altstadt durch die breiten, schönen Baumanlagen des Parade⸗
platzes und des Königsplatzes deutlich geschieden. Ehemals zogen sich dort
die Festungswälle hin. Jetzt sind sie geschleift und in grünende Anlagen
verwandelt, an denen Stettin überhaupt reich ist. Nur das Berliner Tor
und das Königstor, von König Friedrich Wilhelm L mit reichem Bildhauer⸗
schmuck versehen, hat man zum Andenken stehen lassen. Paradeplatz und
Königsplatz treffen sich rechtwinklig. Dort steht das schöne Reiterdenkmal
Kaiser Wilhelms J. Seinen Sockel bewachen vier kraftvolle, erzgegossene
Soldatengestalten: ein Seesoldat, ein Kürassier, ein Kanonier und ein
Landwehrmann. Auch die Standbilder Friedrichs des Großen und Friedrich
Wilhelms III. befinden sich auf dem Königsplatz, letzteres bei dem Stadt⸗
theater.
3. Aber weiter schweift unser Blick über die Häuser hinweg: gen
Westen bis zur Vorstadt Torney, gen Süden über die Oberwiek nach
Pommerensdorf, gen Norden über die Vorstädte Grünhof, Grabow, Ober—
und Unterbredow hinweg bis zu den Hügeln von Frauendorf, alles ein
einziges Gewoge von neuen, schönen Häusern. Qualmende Schornsteine
großer Brauereien, Maschinen- und Eisenwerke, Dampfmühlen, Brennereien
und Fabriken für Zucker, Seife, Zementwaren und chemische Erzeugnisse
weisen auf Stettins lebhafte Gewerbetätigkeit hin. Ein Haupterzeugnis
freilich wird durch Heimarbeit in den Häusern hergestellt, fertige Männer—
und Kinderkleider. Stettin führt jährlich hiervon allein für etwa 30 Millionen
Mark aus.
4. Doch was ragt denn dort in der Vorstadt Bredow für ein merk—
würdiges hohes Gerüst aus Eisenbalken empor? Das sind die „Hellinge“
des Vulkan⸗, der größten Schiffswerft Stettins, ja der größten deutschen
Werft überhaupt. Hier laufen sie vom Stapel, oft unter den Augen des
Kaisers oder andrer fürstlicher Personen, die ungeheuern Handelsschiffe
und die schlanken Ozeanrenner, die nur sechs Tage brauchen, um den
weiten Weg von Europa bis Amerika zurückzulegen. Hier erwachsen sie aber
auch, die düstern, stahlgepanzerten Kriegsschiffe, schwimmende Festungen,
mit Feuerschlünden bewehrt zum Schutz von Deutschlands Küsten. Die
Oder ist tief genug, um sie bis ins Haff und dann in die See zu bringen.
Aber manche Schiffe kommen auch heraufgefahren, um ihre Sturmschäden
in den großen Schwimmdocks der Oder wieder ausbessern zu lassen.
5. Und damit ruht unser Auge schon auf der weiten Wasserfläche
der Oder. Ein Hauptarm von ihr, die Reglitz, verbreitert sich sogar
ganz nahe bei der Stadt zu dem großen Dammschen See. — Ja, er ist
doch Slettins Lebensader, der Oderstrom. Denn hauptsächlich ist Stettin