Full text: Norddeutsches Lesebuch

160. Die Einladung. 
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158. Zwei Rätsel. 
1 
Sñum Hofe des Landmanns mußt du gehn, 
wenn heiter und lustig du mich willst sehn. 
Auf Häusern und Kirchen, hoch oben auf Türmen, 
da thron' ich zuweilen und trotze den Stürmen. 
Hier mach' ich gefesselt in Lüften die Runde 
und gebe willig dem Fragenden Kunde. 
Es rinnt durch mich der labende Wein, 
wenn müde du trittst in die Schenke ein. 
Ja, wür' ich nicht dabei gewesen, 
du hättest wohl kaum gelernt zu lesen. 
Wer nennt mir die Häuslein so nett und rein 
mit dem Gewölbe von weißem Stein? 
Sie entstehen von selber ohne Müh', 
du weißt wohl wo, doch weißt du nicht wie. 
Gar friedlich in guter warmer Hut 
ein ganzes Dörfschen beisammen ruht. 
Sie haben eine Besitzerin, 
die wohnet aber nicht selber drin. 
Jedoch die Bewohner — sie schlagen entzwei 
die Häuschen, und siehe! da sind sie frei. 
159. Lied eines Armen. 
Ich bin so gar ein armer Mann 
und gehe ganz allein. 
Ich möchte wohl nur einmal noch 
recht frohen Mutes sein. 
2. In meiner lieben Eltern Haus 
war ich ein frohes Kind; 
der bittre Kummer ist mein Teil, 
seit sie begraben sind. 
3. Der Reichen Gärten seh' ich blühn, 
ich seh' die goldne Saat. 
Mein ist der unfruchtbare Weg, 
den Sorg' und Mühe trat. 
4. Doch weil' ich gern mit stillem Weh 
in froher Menschen Schwarm, 
und wünsche jedem Guten Tag 
so herzlich und so warm. 
5. O reicher Gott! Du ließest doch 
nicht ganz mich freudenleer: 
ein süßer Trost für alle Welt 
ergießt sich himmelher. 
6. Noch steigt in jedem Dörflein ja 
dein heilig Haus empor; 
die Orgel und der Chorgesang 
ertönet jedem Ohr. 
7. Noch leuchtet Sonne, Mond und Stern 
so liebevoll auch mir, 
und wann die Abendglocke hallt, 
da red' ich, Herr, mit dir. 
8. Einst öffnet jedem Guten sich 
dein hoher Freudensaal; 
dann komm' auch ich im Feierkleid 
und setze mich ans Mahl. 
(L. Uhland.) 
160. Die Einladung. 
Cin frommer Landmann in der Kirche saß; 
den Text der Pfarrer aus Johanne las 
am Ostermontag, wie der Heiland rief 
vom Ufer: „Kindlein, habt ihr nichts zuessen?“ 
Das drang dem Landmann in die Seele tief, 
daß er in stiller Wehmut da gesessen. 
Drauf betet er: „Mein liebster Jesu Christ! 
so fragest du? S, wenn du hungrig bist,
	        
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