Full text: Haus und Vaterland (Band 2, [Schülerband])

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fliegt er auf und hat in schnellem Sehwunge mit seinem kurzen, 
spitzen Sehnabel eine Fliege weggeschnappt, jetzt eine Mücke, 
jetzt wiederum ein Würmchen, das sieh vorwitzig aus dem 
Schlamme des Ufers wagte. An den biegsamen Schilfhalmen 
klettert er hinauf, hinab, so flnk, als se''s auf ebener Erde. 
Nun sitzt er in einem dichten Blütenbüschel wieder still. Das 
Sonnenlicht glänzt auf seinem zarten, glatten FPederkleide. Er 
singt ein niedliches Liedchen, fein und Lieblich; das tönt durchs 
Blattgelispel und durech das Gesumm der Mücken. Ein zweites 
Vöglein fliegt hinter diehtem Gebüsche empor. Es hörte den 
lockenden Gesang und kommt herzu. Es hat dieselbe Grölse 
und dieselbe Farbe; das ist sein Weibehen. Die beiden spielen 
nun zusammen und schmausen dazwischen. Sie suchen dürre 
Blättchen und zähe Halme und wickeln sie geschickt um drei 
oder vier Stengel des Schilfes. Es wird ein Nest gebaut. 
Immer neue Halme und Blättehen werden eingeflochten, bis die 
Wand rundum ganz dicht ist. Aulsenhbin kommen die gröberen, 
innen hinein die feineéren Bestandteile. Ganz zu innerst wird das 
Nestchen mit Federn ausgefüttert. Diese suchen beide Vöglein 
unverdrossen weit und breit zusammen, wo etwa ein anderer 
Vogel eine verloren hat. Ins fertige, warme Nest legt dann das 
Weibchen die Rleinen, buntgesprenkelten Lier, es setzt sich darauf 
und bebrütet sie. 
Wie geht's aber dem Vögelehen im Schilfe, wenn ein Ge- 
wittersturm daherbraust? Die schwachen Halme des Rohbres 
werden ja dann hin und her gepeitscht, dass sie mit Blatt und 
Blũtenbüscheln das aufgeregte Wasser schlagen. Mird dann das 
Nestchen nicht zerrissen? Und werden die Eier samt dem Uier- 
chen nicht herausgeschleudert? — Nein, denn der Rohrsänger 
befestigt sein Nest nur an recht zähen Halmen. Diese geben 
nach, aber sie zerreissen nicht. Er macht das Nest auch nicht 
flach und schüsselförmig, sondern tief, gleich einem Beutel. In 
demselben sind Vogel und RVier geschützt. Kommt Wetternacht 
und Regen, tief verborgen sitzt der Vogel mit seinen Eiern oder 
mit den ausgeschlüpften Jungen, die sich unter seinen Hügeln 
waärmen. Die Sonne leuchtet bald wieder, und dann kKommt auch 
die Schar der Würmer und Insekten wieder hervor, welche den 
Jungen und den Alten als Leckerbissen dienen. 
Herwann Wagner.
	        
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