Full text: [Vorstufe, [Schülerband]] (Vorstufe, [Schülerband])

124 — 
hatte und sich zur Arbeit niedersetzen wollte, so standen die beiden 
Schuhe ganz fertig auf seinem Tisch. Er verwunderte sich und 
wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Er nahm die Schuhe in 
die Hand, um sie näher zu betrachten; sie waren so sauber gearbeitet, 
daß kein Stich daran falsch war, gerade als wenn es ein Meisterstück 
sein sollte. Bald darauf trat auch schon ein Käufer ein, und weil 
ihm die Schuhe so gut gefielen, so bezahlte er mehr als gewöhnlich 
dafür, und der Schuster konnte von dem Geld Leder zu zwei Paar 
Schuhen erhandeln. Er schnitt sie abends zu und wollte den 
nächsten Morgen mit frischem Mut an die Arbeit gehen, aber er 
brauchte es nicht, denn als er aufstand, waren sie schon fertig, und 
es blieben auch nicht die Käufer aus, die ihm so viel Geld gaben, 
daß er Leder zu vier Paar Schuhen einkaufen konnte. Er fand 
früh morgens auch die vier Paar fertig; und so ging's immer 
fort, was er abends zuschnitt, das war am Morgen verarbeitet, 
also daß er bald wieder sein ehrliches Auskommen hatte und end— 
lich ein wohlhabender Mann ward. Nun geschah es eines Abends 
nicht lange vor Weihnachten, als der Mann wieder zugeschnitten 
hatte, daß er vor Schlafengehen zu seiner Frau sprach: „Wie wär's, 
wenn wir diese Nacht aufblieben, um zu sehen, wer uns solche 
hülfreiche Hand leistet.“ Die Frau war's zufrieden und steckte ein 
Licht an; darauf verbargen sie sich in den Stubenecken hinter 
den Kleidern, die da aufgehängt waren, und gaben acht. Als es 
Mitternacht war, da kamen zwei kleine, niedliche, nackte Männlein, 
setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen die zugeschnittene Arbeit 
zu sich und fingen an, mit ihren Fingerlein so behend und schnell 
zu stechen, zu nähen und zu klopfen, daß der Schuster vor Ver— 
wunderung die Augen nicht abwenden konnte. Sie ließen nicht 
nach, bis alles zu Ende gebracht war und fertig auf dem Tische 
stand, dann sprangen sie schnell fort. 
Am andern Morgen sprach die Frau: „Die kleinen Männer 
haben uns reich gemacht, wir müssen uns doch dankbar dafür be— 
zeigen. Sie laufen so herum, haben nichts am Leibe und müssen 
frieren. Weißt du was? ich will Hemdlein, Rock, Wams und 
Höslein für sie nähen, auch jedem ein Paar Strümpfe stricken; 
mach' du jedem ein Paar Schühlein dazu.“ Der Mann sprach: 
„Das bin ich wohl zufrieden,“ und abends, wie sie alles fertig 
hatten, legten sie die Geschenke statt der zugeschnittenen Arbeit zu— 
sammen auf den Tisch und versteckten sich dann, um mit anzusehen, 
wie sich die Männlein dazu anstellen würden. Um Mitternacht 
kamen sie herangesprungen und wollten sich gleich an die Arbeit
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.