180
herumirrt; wenn es wieder zu seinesgleichen kommt, so hat es keinen
Kummer mehr. Der Tagelöhner fragt das Kind, wo es herkomme. —
„Oben herab vors Gutenberg.“ — „Mie beisst dein Vater?“ — „leh habe
einen Vater.“ — „Wie bheilst deine Mutter?“ — „Ieh habe keine Mutter.“
— „Vem gehörst du denn sonst an?“ — „leh gehöre niemand sonst an“
— Aus allem, was es sagte, var nur soviel herauszubringen, dass das Rind
von den Bettelleuten sei aufgelesen worden, dass es mehrere Jahre mit Bett-
lern und Gaunern herumgezogen sei, dass sie es zuletzt in S8t. Peter haben
sitzen lassen, und dass es allein über St. Margen gekömmen sei und jetzt
10 da sei. Als der Tagelöhner mit den Seinigen zu Nacht als, setzte sich
das fremde Kind auch an den Tisch. Als es Zeit war, zu schlafen, legte
es sich auf die Ofenbank und schlief auch. So den andern Tag, so den
dritten. Denn der Mann dachte: „Ieh kann das arme Kind nicht wieder
in sein Elend hinausjagen, so sehwer es mir ankommt, eins mehr zu füttern.“
ib Aber am dritten Tage sagte er zu seiner Frau: „Frau, ich vill's doch aueh
dem Herrn Pfarrer anzeigen.“ Der Pfarrherr lobte die gute Denkungsart
des armen Mannes. „Aber das Mägdlein,“ sagte er, „soll nicht das Brot
mit Euren RKindern teilen; sonst werden die Stücklein zu klein. Ieb will
ihm einen Vater und eine Mutter suchen.“
Also ging der Pfarrherr zu einem woblhabenden und gutdenkenden
Manne in seinem Rirchspiel, der selber venig Kinder hatte, und sagte zu
ihm: „Peter, wollt Ihr ein Geschenk annebhmen?“ „Nach dem's ist,“ sagte
der Mann. — „Es kommt von unserm Leben Herrgott.“ — „Wenn's von
dem kommt, so ist's kein Fehler.“ — Also bot ihm der Pfarrberr das ver-
lassone Magdlein an und erzählte ihm die Geschichte dazu so und so. Der
Mann sagte: „Ieh will mit meiner Frau reden; es wird niebt fehlen.“ Der
Mann und die Frau nahmen das Kind mit Freuden auf. „Wenn's gut thut,“
sagte der Mann, so will ich's erzieben, bis es sein Stücklein Brot selber
verdienen kann. Wenn's nieht gut thut, so will ich's wvenigstens behalten
30 bis zum Frühjahr. Denn dem Winter darf man keine Rinder anvertrauen.“
Jetzt hat er's schon viermal uüberwintert und viermal übersommert auch.
Denn das RKind that gut, war folgsam und dankbar und fleissig in der Schule,
und Speise und Trank war nicht der grösste Gotteslohn, den das fromme
Ehepaar an ihm ausubte, sondern die chrisstliche Zucht, die vaterliehe
Erziehung und die mütterliche Pflege. Wer das fremde Töchterlein unter
den andern in der Schule sah, sollte es nicht erkennen, so gut sah es aus,
und so sauber war es gebleidet.
So etwas thut einem Menschenfreunde wohl; und ieh könnte den
braven Tagelöbhner und die braven Pflegeeltern des Kindes mit Namen
40 nennen, wer sie waren, und wie sie hielssen. Aber über meinen Mund
kommt's nmicht.
261. Der Pilger.
Gchmid.)
In einem schönen Schlosse, von dem schon längst kein Stein mehr auf
15 dem andern ist, lebte einst ein sehr reicher Ritter. Er verwandte sehr viel
Geld darauf, sein Schloß recht prächtig auszuzieren; den Armen aber that
er wenig Gutes. Da kam nun einmal ein armer Pilger in das Schloß und