Full text: [Teil 3 = (3. und 4. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 3 = (3. und 4. Schuljahr), [Schülerband])

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sprang ganz lustig vorbei, und die Vögel blieben auf den Ästen sitzen und 
sangen, was sie nur wußten. Kein Unfall traf sie. Wenn sie sich im 
Walde verspätet hatten und die Nacht sie überfiel, so legten sie sich neben— 
einander auf das Moos und schliefen, bis der Morgen kam. Und die 
Mutter wußte das und hatte ihretwegen keine Sorge. Einmal, als sie im 
Walde übernachtet hatten und das Morgenrot sie aufweckte, da sahen fie ein 
schönes Kind in einem weißen, glänzenden Kleidchen neben ihrem Lager 
sitzen. Es stand auf und blickte sie ganz freundlich an, sprach aber nichts 
und ging in den Wald hinein. Und als sie sich umsahen, so hatten sie 
ganz nahe bei einem Abgrunde geschlafen und wären gewiß hinein gefallen, 
wenn sie in der Dunkelheit noch ein paar Schritte weiter gegangen wären. 
Die Mutter aber sagte ihnen, das müßte der Engel gewesen sein, der gute 
Kinder bewache. 
Schneeweißchen und Rosenrot hielten das Hüttchen der Mutter so 
reinlich, daß es eine Freude war hineinzuschauen. Im Sommer besorgte 
Rosenrot das Haus und stellte der Mutter jeden Morgen, ehe sie aufwachte, 
einen Blumenstrauß vors Bett; darin war von jedem Bäumchen eine Rose. 
Im Winter zündete Schneeweißchen das Feuer an und hing den Kessel an 
den Feuerhaken, und der Kessel war von Messing, glänzte aber wie Gold, 
so rein war er gescheuert. Abends, wenn die Flocken fielen, sagte die 
Mutter: „Geh, Schneeweißchen, und schieb den Riegel vor!“ und dann 
setzten sie sich an den Herd, und die Mutter nahm die Brille und las aus 
einem großen Buche vor, und die beiden Mädchen hörten zu, saßen und 
spannen. Neben ihnen lag ein Lämmchen auf dem Boden, und hinter 
ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen und hatte seinen Kopf 
unter den Flügel gesteckt. 
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Eines Abends, als sie so vertraulich beisammen saßen, klopfte jemand 
an die Thür, als wollte er eingelassen sein. Die Mutter sprach: „Geschwind, 
Rosenrot, mach auf! Es wird ein Wanderer sein, der Obdach sucht.“ Rosenrot 
ging und schob den Riegel weg und dachte, es wär' ein armer Mann, aber 
der war's nicht, es war ein Bär, der seinen dicken, schwarzen Kopf zur 
Thür herein steckte. Rosenrot schrie laut und sprang zurück; das Lämmchen 
blökte, das Täubchen flatterte auf, und Schneeweißchen versteckte sich hinter 
der Mutter Bett. Der Bär aber fing an zu sprechen und sagte: „Fürchtet 
euch nicht, ich thue euch nichts zuleid, ich bin halb erfroren und will mich 
nur ein wenig bei euch wärmen.“ — „Du armer Bär,“ sprach die Mutter, 
„leg dich ans Feuer und gieb nur acht, daß dir dein Pelz nicht brennt!“ 
Dann rief sie: „Schneeweißchen, Rosenrot, kommt hervor, ihr Kinder! Der 
Bär thut euch nichts, er meints ehrlich.“ Da kamen sie beide heran, und 
nach und nach näherten sich auch das Lämmchen und Täubchen und hatten 
2. Der sonderbare Besuch. 
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—3. 
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