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ihm seine Mutter, das alte Reh, ein weiches Lager aus Moos und
ttocknem Laub ausgesucht und tränkte es täglich mit Milch.
Das Rehkälbchen sah allerliebst aus. Sein braunes Pelzwams
war mit weißen Flecken besetzt; allein seine Beinchen waren anfäng—
lich noch so schwach, daß es auf ihnen kaum stehen und nur ein paar
kleine Schritte machen konnte.
Das alte Reh ging vom Lager hinweg, um auf der Waldwiese
Futter für sich zu suchen und am Quell einen frischen Trunk zu tun.
Als es von seinem Kindchen Abschied nahm, drückte es dieses mit dem
Munde aufs Lager nieder. Dort blieb das Kälbchen folgsam still
liegen, bis seine Mutter zurückkam. So konnte diese es im großen
Wald sicher wiederfinden. Nach ein paar Tagen wurden seine Beine
schon etwas stärker, und es versuchte schon, niedliche Sprünge zu
machen. Es war aber noch nicht kräftig genug, um mit seiner Mutter
im Galopp schnell über Berg und Tal zu jagen und über die Büsche
und Gräben hinwegzuspringen.
Es kommen Kinder in den Wald, um Beeren zu suchen. Männer
und Frauen nahen dem Lager, um Holz zu sammeln. Das alte Reh
stampft ein wenig mit dem Vorderfuß. Das Rehkälbchen versteht, was
die Mutter wünscht: es soll sich niederlegen und unter dem Laube und
den großen Farnkräutern verkriechen. Das alte Reh wird von den
Kindern und von den Holzsuchern gesehen. Wollen sie es haschen,
so läuft es anfänglich längsam ein Stück fort und bleibt zu Zeiten
sogar ein wenig stehen. GEs verstellt sich, als sei es lahm und könne
nicht schnell springen. Die Leute laufen ihm nach. Das Reh lockt
sie von seinem Kälbchen im Lager hinweg, weiter und weiter. Endlich,
wenn es denkt, daß sein Kindchen gesichert ist, trabt es schneller und
schneller. Die Leute verlieren es bald im dichten Gebüsch aus den
Augen. Nachher kehrt es in großem Bogen auf einem Umwege zum
Rehkälbchen zurück. Dieses ist der Mutter folgsam gewesen und liegt
noch mäuschenstill auf demselben Fleck. Dadurch ward es gerettet.
Es ist auch für ein Rehkälbchen sehr gut, wenn es darauf merkt,
was die Mutter wünscht, und wenn es genau nach ihrem Willen tut.
Es wird dadurch vor Gefahren und vielen Nöten bewahrt. Menschen—
kinder tun auch also; denn sie sind ja noch verständiger als Rehkälbchen.
Herzblättchens Naturg. U. S. 81. Herm. Wagner.
194. Die Henne und der Kuckuck.
Eine Henne spazierte mit ihren Küchlein auf dem Hofe umher und
gab fleißig acht, daß keines von ihnen zu Schaden kam. Dabei scharrte
fie hier und da das Erdreich auf, und fand sie ein Körnchen oder ein
Würmchen oder sonst einen Leckerbissen für die Kleinen, so rief sie alle
gackernd herbei und freute sich, wenn es ihnen schmeckte.
Ein Kuckuck, der das Treiben der Henne und ihrer Küchlein von
einem Birnbaume angesehen hatte, schütlelte verwundert über die un—
endliche Sorgfalt und Muͤhewaltung der Mutter den Kopf und sagte: