Die klassische Periode. — IJ. H. Pestalozzi 4
ud (in Thränen): Meinest du denn Mutter, Du erholest Dich nicht
wieder?
Die Mutter: Nein, Rudi, gewiß nicht!
Rudi: O mein Gott!
Die Mutter: Tröste Dich, Rudi, ich gehe ins bessere Leben.
Rudi (schluchzend) O Gott!
Die Mutter: Tröste Dich, Rudi, Du warst die Freude meiner Ju—
gend und der Trost meines Alters. Und nun danke ich Gott! Deine Hände
werden jetzt bald meine Augen schließen. Dann werde ich zu Gott kommen,
und ich will für Dich beten, und es wird Dir wohl gehen ewiglich. Denk
an mich, Rudi. Alles Leiden und aller Jammer dieses Lebens, wenn sie
überstanden sind, machen einem nur wohl. Mich tröstet und mir ist wie heilig
alles, was ich überstanden habe, so gut als alle Lust und Freude des Lebens.
Ich danke Gott für die frohe Erquickung der Tage meiner Kindheit; aber
wenn die Frucht des Lebens im Herbst reifet, und wenn der Baum sich zum
Schlafe des Winters entblättert: dann ist das Leiden des Lebens ihm heilig,
und die Freuden des Lebens sind ihm nur ein Traum. Denk' an mich, Rudi!
Es wird Dir wohl gehen bei allem Deinem Leiden.
Und dann die Mutter!
Erhöre mich, Vater im Himmel! und gib deinen Segen meinem Kind —
meinem Kind, dem Einigen, so du mir gegeben hast und das mir so innig
lieb ist — Rudi! mein Gott und mein Srlöser sei mit Dir; und wie er
Jsaak und Jacob um ihres Vaters Abrahams willen Gutes gethan hat, ach!
so möge er auch, um meines Segens willen, Dir Gutes thun die Fülle; daß
Dein Herz sich wieder erfreue und frohlocke, und seinen Namen preise.
Höre mich jetzt, Rudi! und thue, was ich sage. Lehre deine Kinder
Ordnung und Fleiß, daß sie in der Armuth nicht verlegen, unordentlich und
liederlich werden. Lehre sie auf Gott im Himmel trauen und bauen, und
Geschwister an einander bleiben in Freude und Leid: so wird's ihnen auch
in ihrer Armuth wohlgehen.
Verzeihe auch dem Vogt, und wenn ich todt und begraben sein werde,
so geh zu ihm hin, und sage ihm: ich sei mit einem versöhnten Herze gegen ihn
gestorben; und wenn Gott meine Bitte erhöre, so werde es ihm wohlgehen,
und er werde noch zur Erkenntniß seiner selbst kommen, ehe er von hinnen
scheiden werde.
Nach einer Weile sagte dann die Mutter wieder: Rudi! Gib mir meine
zwo Bibeln, mein Gebetbuch und eine Schrift, die unter meinem Halstuch in
einem Schächtelchen liegt.
Und Rudi stand von seinen Knieen auf, und brachte alles der Mutter.
Da sagte sie: Bring' mir jetzt auch die Kinder alle. Er brachte sie vom
Tisch, wo sie saßen und weinten, zu ihrem Bett.
Und auch diese fielen auf ihre Knie vor dem Bette der Mutter.
Da sagte sie ihnen: Weinet nicht so, ihr Lieben! Euer Vater im Him—
mel wird euch erhalten, und euch segnen. Ihr waret mir lieb, ihr Theuern!
und es thut mir weh, daß ich euch so arm und ohne eine Mutter verlassen
muß. — Aber hoffet auf Gott, und trauet auf ihn in allem, was euch be—
gegnen wird; so werdet ihr an ihm immer mehr als Vaterhülfe und Muͤtter—
treue finden. Denket an mich ihr Lieben! ich hinterlasse euch zwar nichts;
aber ihr waret mir lieb, und ich weiß, daß ich euch auch lieb bin.
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