Full text: Griechische Geschichtsschreiber, Philosophen ... [et cetera] und Römische Schriftsteller in Übersetzungen (Teil 2, [Schülerband])

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Tugend anlegt, von der die meisten Leute keine Ahnung haben, oder den Maß⸗ 
slab einer Bildung, die ohne Naturanlagen und Glücksgüter nicht möglich ist, 
her aner Verfaffung, die ünserem Ideal entspricht? Vielmehr wollen wir da— 
bei an ein Seben denken, wie es die Mehrzahl der Menschen führen kann, und 
an eine Verfassung, wie sie für die meisten Staaten möglich ist. Die Antwort 
auf alles dies wird aus denselben Elementen (Grundwahrheiten) gewonnen. 
Denn wenn es in der Ethik heißt, das glückliche Leben sei ein solches Leben, in 
dem man seine Zn und e uͤngeheinmt betätigen kann, jede Tugend 
aber sei die a itte zwischen zwei Ertremen: so muß auch das Leben 
eines solchen Mittelmaßes das beste sein, und zwar eines Mittelmaßes, das 
jeder erxeichen kann. Dieselben Bestimmungen müssen aber auch für die 
efflichleit, bez. Schlechtigkeit von Staat und Verfassung gelten; denn die Ver⸗ 
fassung ist gewissermaßen das Leben des Staates.) 
In allon Slaaten findet man drei Klassen von Bürgern: sehr reiche, sehr 
arme und drittens solche, die zwischen beiden in der Mitte stehen. Da, nun 
nach allgemeiner Ansicht das rechte Maß und die Mitte das Beste ist, so ist 
offenbar, daß auch untker, den Glücksgütern der die Mitte haltende Besitz das 
allerbeste ist; denn ein solcher Besih macht es uns am leichtesten, der vernünf⸗ 
gen Einsicht zu gehorchen. Dagegen ist es schwer, daß der ilhermäßig Shöne 
Sarke, Vornehme, Reiche, und änderseits der übermäßig Arme, Schwache, 
Niedrige der vernünftigen Einsicht folgt. Denn die ersteren verfallen in Ueber⸗ 
mut und werden Verhrecher im Großen, die letzteren Bösewichter und Ver— 
brecher im Kleinen; alle Verbrechen aber entstehen entweder aus Uebermut oder 
us Boshein. Außerdem haben die einen welche in einer Ueherfülle der 
Glücksgüler, der Stärke, des Reichtums, der Verbindungen usw. leben, weder 
Quist noch Sinn, sich der Obrigkeit unterzuordnen — und dies zeigt sich schon 
gleich von Hause aus in ihren Kinderjahren; denn infolge ihrer Hoffart können 
sie sich auch in der Schule nicht ans Gehorchen gewöhnen — die andern, 
welche jene Glücksgüter übermäßig entbehren, sind allzu unterwürfig. Deshalb 
sind die letzteren unfähig zu gebieten und können nur wie Sklaven gehorchen; 
die ersteren sind unfähig zu gehorchen und können nur wie Despoten gebieten 
Daraus entsteht nicht ein Staͤat von freien Männern, sondern von Sklaven 
Ind Despoten, von denen die einen Neid, die anderen Verachtung im Herzen 
tragen. Solche Gefühle sind am weitesten entfernt von Freundschaft und staat⸗ 
Ucher Gemeinschaft, die ja doch eine Art von Freundschaft ist; denn mit den 
Felnden will man nicht einmal die Landstraße teilen. 
Wer auch in den Staͤdten ist die Existenz der Bürger des Mittelstandes 
am besten gesichert. Denn weder trachten sie, wie die Armen, nach fremdem 
Gut, noch andere nach ihrem Gut; und weil sie weder anderen nachstellen, noch 
andere ihnen, verleben sie ihre Tage ohne Gefahr. Deshaͤlb hatte Phokylides 
recht mit seinem Wunsch: 
„Ich lobe mir den Mittelstand; 
Zu ihm will ich gehören.“ 
Offenbar ist also die bürgerliche Gemeinschaft die beste, welche der Mittelstand 
bildet, und nur solche rn koͤnnen eine gute Regierung haben, in welchen 
der Minelstand zahlreich ist; wenn möglich, stärker als die beiden anderen 
Klassen zusammen, wenigstens aber stärker als eine derselben. Denn so gibt er 
den ihsnlu. Und verhindert das Uebergewicht einer der beiden anderen 
Massen. Deshalb ist es das größte Glück, wenn die Bürger eines Staates ein 
) An einer andern Stelle seiner Politik VII, behandelt Aristoteles ausführ— 
licher dieselbe Frage: „Ist das, was man Glückseligkeit bei jedem einzelnen Menschen 
und was man Wluͤckseligkeit bei einem Staate nennt, einerlei oder verschieden?“ 
28.
	        
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