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du sagst, Sokrates.“ — „Welcher von beiden Arten also scheint dir nach dem
vorhin und jetzt Gesagten die Seele ähnlicher und verwandter zu sein?“ —
Naturlich inuͤß jeder, auch der Ungelehrigste, nach diesem Gang der Unter—
fuͤchung beistimmen, daß in allem und jedem die Seele dem sich immer Gleich⸗
bleibenden ähnlicher ist als dem andern.““ — „Und der Leib?“ — „Dem
anderen.“ —
„Betrachte nun auch dieses: so lange Seele und Leib zusammen sind, ge—
bietel die Natur dem einen, zu dienen und sich beherrschen zu lassen, dem
andern, zu herrschen und zu regieren. Welches von beiden scheint dir nun
dem Göltlichen ähnlich zu sein und welches dem Sterblichen? Dder meinst
du nicht, daß das Göttliche so geartet ist, daß es herrscht und regiert, das
Sterbliche so, daß es sich beherrschen läßt und dient?“ —
„Welchein von beiden gleicht nun die Seele?“ — „Offenbar gleicht die Seele
hem Göoͤttlichen, der Leib dem Sterblichen.““ — „Sieh nun, oöb wir aus dem
bisher ren e Schluß ziehen: dem Göttlichen, Unsterblichen, Ver—
nünftigen, Eingestaltigen, Nnauflöslichen, sich immer Gleichbleibenden ist die
Seele am ähnlichsten, dem Menschlichen, Sterblichen, Vielgestaltigen, Unver—
nünftigen, Auflöslichen und sich niemals Gleichbleibenden ist der Leib am
ähnlichsten. Oder können wir hiergegen noch etwas anderes sagen?“ —
MNoin.m
„Wenn sich dies so verhält: ist es dann nicht notwendig, daß der Leib
sich schnell auflöst, die Seele aber entweder l unauflös—
hich ist oder nn ens beinahe?“ — „„Natürlich.““ — „Du bemerkst
nun, daß, wenn der Mensch stirbt, der sichtbare Teil von ihm, der Leib, der
sichtbar da liegt — was wir, Leiche nennen — der sich auflösen und zerfallen
nuß, nicht sofort dieses erleidet, sondern noch ziemlich lange so bleibt: wenn
einel in der Jugendblülte gestorben ist, so bleibt er ziemlich lange; ein vor Alter
dereits eingefallener und ein durch Kunst eingetrockneter Leib — wie das in
Aegypten geschieht — exhält sich eine unglaublich lange Zeit; ja, einige Teile
des Leibes Knochen, Sehnen uͤnd alles derartige, sind, auch wenn das andere
derfault ist, beinahe unsterblich. Oder nicht?“ — „„Ja.““ — „Der unsichtbare
Teil des Menschen aber, die Seele, die zu einem anderen ihr entsprechenden,
dlen, reinen, unsichtbaren Orte geht, in den wahren Hades, zu dem guten und
bernunftigen Gott — wohin, so Gott will, auch meine Seele noch heute gehen
muß — die soll, wenn sie sich vom Körper löst, verweht und zugrunde ge—
richtet werden, wie die Leute sagen? Im Geaenteil, lieber Kebes und Simmias,
es verhält sich vielmehr also:
Wenn die Seele sich rein lostrennt und nichts vom Leibe mit sich zieht
— naturlich, weil sie schon im Leben freiwillig nichts mit ihm gemein hatte,
sondern ihn floh und in sich selbst gesammelt blieb und immer dies im Sinne
hatte, was nichts anderes heißen will, als daß sie recht philosophierte und un⸗
Amüdlich im Sinne hatte, tot zu sein; oder nennst du das nicht auf den Tod
bedacht fein ?“ „Allerdings.““ — „also, wenn sie sich so verhält, dann
geht sie zu dem ihr ähnlichen Unsichtbaren, zum Göttlichen, Unsterblichen, Ver—⸗
nunftigen; dort ist es ihr vergönnt, glückselig zu sein, frei von Irrtum und
Unwissenheit, Furcht und e eli und allen anderen menschlichen
Üebeln; dann lebt sie, wie es von den Eingeweihten heißt, die übrige Zeit mit
den Goötlern. Sollen wir so sagen?“ — „„Beim Zeus.““ sagte Kebes. —
) Auch bei diesem zweiten Beweis hat Plato zunächst vorsokratischen Philo—
sophen sich angeschlossen. Neu ist „der aus der Ideenlehre entnommene Grundsatz,
daß die menschuüche Seele befähigt ist, das Ewige und Unveränderliche, die Idee, zu
kennen. Daraus folgt, daß die Seele ebenso ewig sein muß, wie die Idee, die sie
erkennt.“