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Stube war sauber gescheuert, das wenige Hausgerät war in guter
Ordnung, und an der Wand hingen die Bilder des Kaisers und des
Kronprinzen. Der Meister saß auf seinem Dreibein, die Hornbrille auf
der Nase, das weißhaarige Haupt über einen Kinderschuh gebeugt, der
eine gar bedenkliche „Offenheit“ zeigte. Als er den vornehmen Besuch
gewahrte, sprang er schnell auf, wischte mit seiner blauen Arbeitsschürze
einen Stuhl ab und bat „die gnädige Frau“, Platz zu nehmen. Ich
danke,“ erwiderte die Kronprinzessin, winkte ihrem Töchterchen, sich auf
den Stuhl zu setzen, und sprach: „Ich möchte ein Paar Schuhe für
meine Tochter haben, aber gut und billig, wie auf Ihrem Schilde
steht.“ — ‚„O darum seien Sie unbesorgt, gnädige Frau,“ rief der
Meister und ließ sich gleich auf ein Knie nieder, um dem „gnädigen
Fräulein“ Maß zu nehmen.
„Dafür danke ich dem lieben Gott,“ sagte er in seiner treu—
herzigen Weise, indem er sich die Maße aufschrieb, „daß er mir wieder
einen neuen Kunden ins Haus schickt. Früher war's freilich besser.
Da konnte ich meine zwei, drei Gesellen beschäftigen und hatte vollauf
zu tun. Aber die Herrschaften wollen meist nur eine Ware haben, die
recht schön aussieht, wenn sie auch nichts hält. Deshalb gehen sie in die
schönen Läden, wo sie für schweres Geld nur die schlechte Fabrikware
bekommen; für unsereinen bleibt dann nur noch die Flickerei übrig...
Aber Sie werden sehen, daß Sie mit meiner Arbeit zufrieden sein
können. Wann wünschen denn das junge Fräulein die Schuhe?“ —
„Es hat keine Eile,“ antwortete die Kronprinzessin und zog einen
Zwanzigmarkschein aus der Tasche, um ihn als Bezahlung hinzugeben.
„O weh,“ sagte der biedere Meister, „da werd' ich wohl nicht heraus—
geben können.“ — „Das sollen Sie auch nicht,“ entgegnete die Kron—
prinzessin; „wenn die Schuhe fertig sind, schicken Sie sie nur an die
Kronprinzessin nach dem Neuen Palais!“ — „An die Kronprinzessin —
im Neuen Palais?“ stammelte der Meister und geriet aus einer Ver—
legenheit in die andere, bis er endlich nach einigem Besinnen plötzlich
ausrief: „Herr, mein Gott, Sie sind doch nicht etwa selbst —?“ worauf
die Kronprinzessin unter freundlichem Kopfnicken mit ihrer Begleitung
den Keller verließ.
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