Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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Stärkung dienen würde. Hannchen hatte nämlich schon vor vielen 
Monaten auf einem Spaziergange im nahen Busche eine wilde 
Taube gefunden die wahrscheinlich von einem Jäger war verwundet 
worden; denn sie flatterte am Boden umher, und der eine Flügel 
war ganz voller Blut und schwer verletzi.. Sie hatte darauf das 
arme Tlerchen mit nach Hause genommen, gewaschen, verbunden 
und so lange gepflegt, bis es gänzlich wieder hergestellt war. Da— 
bei war das Taubchen nun so zahm geworden, daß es seiner klei— 
nen Retterin aus der Hand fraß und nicht weg flog, wenngleich 
sein Bauer geöffnet war. Wenn Hannchen ins Feld ging, so saß 
Täubchen auf ihrer Schulter, und dasselbe war ihr außer ihrer 
utter das Liebste auf der Welt geworden. 
Jetzt galt es aber, zu der e der Mutter etwas bei⸗ 
zutragen, und ohne sich zu bedenken holte sie ihr Täubchen hervor 
und ging damit zur Nachbarin. „Der Doktor hat meiner Mutter 
eine Suppe und ein Stückchen Fleisch verordnet,“ sagte sie zu ihr, 
„ich weiß dieses aber nicht zuzubereiten, und da wollle ich euch 
bitten, liebe Frau Marthe, ihr doch diese Taube zu kochen.“ 
Die Nachbaxin versprach, ihr diesen Gefallen zu thun. Noch 
einmal küßte da Hannchen ihr liebes Täubchen und eilte dann fort; 
denn das Herz wollte ihr fast brechen. An Abend holte sie das 
lieblich duftende Gericht, setzte es der Mutter vor, indem sie sagle: 
„Das hat die Nachbarin für dich bereitet;“ und nun sah sie un 
inniger Freude zu, wie gut es der Mutter schmeckte. Auch füͤr den 
folgenden Tag wurde noch etwas verwahrt, und als nun der Arzt 
die Kranke sichtlich gestärkft fand und ihr erlaubte, einmal wieder 
hinaus vor das Hültchen, in die wärmende Sonne zu treten, wer 
war da froher, als das gute Hannchen? 
Als die Mutter, von ihrer Tochter unterstützt, zum ersten Mal 
die dunkle Kammer verließ, da fiel ihr erster Blick auf das leere 
Taubenhaus. Hannchen, wo ist denn dein Täubchen?“ fragte sie 
„Ich will nicht hoffen — fuhr sie fort, als Hannchen schwieg, und 
doch — das Gericht von gestern, und die Taube nicht mehr da? 
so hast du also dein einziges Vergnügen auf der Woelt für deine 
Mutter geopfert? 
Hannchen warf sich an die Brust der Mutter und versicherte, 
daß nichts ihr Glück übertreffen könne, sie wieder gesund zu sehen. 
Da weinte die Mutter vor Rührung; sie umarmte die gute 
Tochter und legte segnend die Hand auf ihr Haupt. „Der Segen 
der Eltern erbauet den Kindern Häuser!“ 
Dies ging bei dem guten Hannchen recht in Erfüllung; denn 
die Mutter erzählte ihrer Nachbarin von der schönen That ihres 
Kindes, und diese erzählte es weiter, bis die Geschichte auch end— 
lich zu den Ohren des Gutsherrn kam. Dieser, ein wahrhaft
	        
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