Full text: [Teil 5 = Achtes und neuntes Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 5 = Achtes und neuntes Schuljahr, [Schülerband])

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So trug er auch immer einen talarähnlichen Schlafrock und auf 
dem Haupt eine faltige schwarze Samtmütze, so daß er eine mittlere 
Person zwischen Alcinous und Laörtes hätte vorstellen können. 
Alle diese Gartenarbeiten betrieb er ebenso regelmäßig und 
genau wie seine Amtsgeschäfte; denn eh er herunterkam, hatte er 
immer die Registrande seiner Proponenden für den anderen Tag 
in Ordnung gebracht und die Akten gelesen. Ebenso fuhr er 
morgens aufs Rathaus, speiste nach seiner Rückkehr, nickte hierauf 
in seinem Grotzstuhl, und ging alles einen Tag wie den anderen. 
Er sprach wenig, zeigte keine Spur von Heftigkeit; ich erinnere 
mich nicht, ihn zornig gesehen zu haben. Alles, was ihn umgab, 
war altertümlich. In seiner getäfelten Stube habe ich niemals 
irgendeine Neuerung wahrgenommen. Seine Bibliothek enthielt 
außer juristischen Werken nur die ersten Reisebeschreibungen, See¬ 
fahrten und Länderentdeckungen. Überhaupt erinnere ich mich keines 
Zustandes, der so wie dieser das Gefühl eines unverbrüchlichen 
Friedens und einer ewigen Dauer gegeben hätte. 
Durch zufällige Anregung, sowie in zufälliger Gesellschaft stellte 
ich manche Wanderungen nach dem Gebirge an, das von Kindheit 
auf so fern und ernsthaft vor mir gestanden hatte. So besuchten 
wir Homburg, Cronberg, bestiegen den Feldberg, von dem uns 
die weite Aussicht immer mehr in die Ferne lockte. Da blieb denn 
Königstein nicht unbesucht; Wiesbaden, Schwalbach mit seinen Um¬ 
gebungen beschäftigten uns mehrere Tage; wir gelangten an den 
Rhein, den wir, von den Höhen herab, weit her schlängeln ge¬ 
sehen. Mainz setzte uns in Verwunderung, doch konnte es den 
jugendlichen Sinn nicht fesseln, der ins Freie ging; wir erheiterten 
uns an der Lage von Biebrich und nahmen zufrieden und froh 
unseren Rückweg. 
Von solchen halb lebenslustigen, halb künstlerischen Streif- 
partien, welche sich in kurzer Zeit vollbringen und öfters wieder¬ 
holen ließen, ward ich jedoch wieder nach Hause gezogen, und 
zwar durch einen Magnet, der von jeher stark auf mich wirkte: 
es war meine Schwester. Sie, nur ein Jahr jünger als ich, 
hatte mein ganzes bewußtes Leben mit mir herangelebt und sich 
dadurch mit mir aufs innigste verbunden. Zu diesen natürlichen 
Anlässen gesellte sich noch ein aus unserer häuslichen Lage hervor¬ 
gehender Drang: ein zwar liebevoller und wohlgesinnter, aber
	        
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