Full text: Kl. 5, [Schülerband] (Kl. 5, [Schülerband])

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entdeckte unter dem einfachen und leutseligen Wesen des alten Herrn 
den hochgebornen Fürsten. 
Es ist König Wilhelm, der sich alljährlich nach dem anstrengenden, 
arbeitsvollen Winter -in Ems einige Wochen Erholung gönnt, obgleich er 
auch hier noch täglich stundenlang mit seinen Räten arbeitet. In dem 
warmen Sprudel, der hier heilkräftig der Talsohle entquillt, will er sich 
erfrischen und stärken zu neuer Arbeit. Die Bewohner des Städtchens 
wie seine regelmäßigen Besucher freuen sich jedesmal über seine Ankunft; 
jedermann hat ihn lieb wie einen alten Freund. 
3. Vor allem ist er gern gesehen bei der Kinderwelt zu Ems. Wie 
denken sich die Kleinen einen König doch so ganz anders, ehe sie einen 
echten und wirklichen gesehen! Dieser trägt keine goldene Krone und 
keinen Purpurmantel, ja nicht einmal Zepter und Reichsapfel, wie sie's 
aus den Bilderbüchern wissen. Er hat meist nur ein Stückchen in der einen, 
eine Zigarre in der andern Hand, gerade wie Papa, und er trägt gewöhn¬ 
lich einen Hut und einen schwarzen Rock mit weißer Weste, gerade wie 
Onkel. Doch auch wenn er im Militärrock und mit der Soldatenmütze 
spazieren geht, sieht er so freundlich und Zutrauen erweckend aus, daß 
sich keins vor ihm fürchtet. Und wenn eins ihm die Hand gibt trotz des 
Verbots der Mama, so schilt er nicht, sondern lächelt freundlich und schüttelt 
das Händchen ganz herzlich. 
So faßt sich denn einmal ein Emser Bub' ein Herz, läuft plötzlich auf 
den alten Herrn zu, umspannt seine Knie und ruft: „Bist bu wirklich der 
König Wilhelm?" — „Ja, ich denke, kleiner Mann," lautet die Antwort, 
„und wie heißt denn du, und was willst du werden?" — „Ich heiße auch 
Wilhelm, und Soldat will ich werden," ruft der Kleine freudestrahlend, 
„aber weißt du, König Wilhelm, einer von denen mit den roten Aufschlägen 
und den weißen Federbüschen." — „Gott segne dich, mein Junge!" er¬ 
widert der König, „und wenn du einmal groß wirst, dann sag meinem 
Sohne Fritz, du wolltest unter die Soldaten mit den roten Aufschlägen 
und weißen Federbüschen; der alte König Wilhelm habe dir's erlaubt!" 
Und glücklich springt der Bursch davon, um Mama ganz brühwarm die 
denkwürdige Begegnung zu berichten. 
Die kleinen Mädchen von Ems haben natürlich nicht so kriegerische 
Wünsche und begegnen in ihrer angebornen Schüchternheit ihm weniger 
keck. Indessen konnnt es doch auch vor, daß sich eins oder das andre ganz 
in seine Nähe wagt, namentlich wenn er auf einer Bank der Anlagen 
sitzt, wo er nicht so groß aussieht; ja zuweilen rollt selbst ein Spielball 
ganz dicht an seine Füße. Die Angehörigen des Kindes und andre Kur¬ 
gäste blicken etwas verlegen auf die Szene; der König aber, seine Unter¬ 
haltung unterbrechend, winkt dem zaghaften Kinde, seinen Ball sich zurück¬ 
zuholen, oder wirft ihn demselben selbst freundlich hin.
	        
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