Full text: Moderne deutsche Dichter

240 — 
Helene Goblau. 
Aus den „Rathsmädelgeschichten“. ) 
Das Damengärtchen. 
20 
25 
30 
Den beiden Mädchen wurde jetzt die Anweisung gegeben, draußen 
auf der erleuchteten Treppe Goethe zu erwarten, der nach längerer Zeit 
zum erstenmale wieder den Abend bei Madame Schopenhauer ver— 
bringen wollte. 
Das fuhr den beiden doch etwas in die Glieder. 
„Ach, du großer Gott!“ rief Röse in einem wahren Schreckenston. 
Hört einmal,“ antwortete Adele, „seid nicht dumm und verderbt 
uns unsern schönen Plan nicht. Ihr stellt euch draußen auf die Treppe 
hin und wartet. Das könnt ihr doch? Und wenn er kommt, sprecht 
ihr kein Wort, fasst ruhig seine Hände und führt ihn zu uns herein 
und nehmt ihm erst vor der Thür seinen Mantel und Hut ab. Alles 
ganz ruhig und still; und wenn er mit euch spricht, so antwortet ohne 
Scheu, ihr seid ja nicht auf den Mund gefallen. Und nun allons, es 
wird nicht lange dauern!“ 
Dainit nahm sie Marie an der Hand; Röse folgte, und sie führte 
beide zur Thür hinaus. 
Im Nebenzimmer waren schon Gäste versammelt. Man hörte eine 
lebhafte Unterhaltung. Als Marie und Röse draußen auf der Treppe 
standen, blickten sie sich verdutzt an. 
„Du großer Gott!“ murmelte Röse noch einmal. Marie zeigte sich 
vollkommen gefasst. „Er mag nur kommen,“ sagte sie so ruhig, etwa 
wie ein Jäger, der sich bereit gemacht hat, einen Bären gehörig zu 
empfangen. Jetzt gieng die Hausthür. „Da ist er!“ flüsterte Röse. 
Ungemein leichte, elastische Schritte hörten sie auf der Treppe. Der 
Ankommende mochte wohl zwei Stufen auf einmal nehmen. 
„Das ist er nicht,“ sagten sie. 
Das muss Schopenhauers Kater sein,“ meinte Röse leise. 
Pass auf! Dass er heute auch kommt, wundert mich!“ 
Der Ankommende war Arthur Schopenhauer, der Sohn Johannas 
der Bruder Adeles. 
Ein närrischer Gast, der mit aller Welt so übel wie möglich stand. 
Wenn er sich in den Gesellschaften seiner Mutter sehen ließ, gab er die 
sonderbarste Figur ab und brachte die gute, formgewandte Frau während 
seines Aufenthaltes in ihrem Salon aus aller geistreichen Würde und 
Fassung durch Paradoxen, unartige Angewohnheiten, beißende Urtheile 
und Kritiken und berührte ihre an Almanachszartheit gewöhnte Seele 
durch aufrührerische Aussprüche auf das Unangenehmste. Dieser Stören— 
fried der schöngeistigen Theeabende seiner Mutter stürmte die Treppe
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.