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Die Sonne blinkt von der Schale Rand,
malt zitternde Kringlein an die Wand;
und wie den Schein er in's Auge faßt,
da spricht er für sich, indem er erblaßt:
„Du bringst es doch nicht an den Tag!"
„„Wer nicht? Was nicht?"" fragt die Frau sogleich;
„„was stierst du so an? Was wirst du so bleich?""
Und er drauf: „Sei nur still! Nur still!
Jch's doch nicht sagen kann, noch will:
Die Sonne bringt's nicht an den Tag!"
Die Frau nur dringender forscht und fragt,
mit Schmeicheln ihn und Schelten plagt,
mit süßem und mit bitterm Wort;
sie fragt und plagt ihn fort und fort:
„„Was bringt die Sonne nicht an den Tag?""
„Nein! Nimmermehr!" — „„Du sagst es mir noch!""
— „Ich sag' es nicht!" — „„Du sagst es mir doch!""
Da ward zuletzt er müd und schwach
und gab der Ungestümen nach:
Die Sonne bringt es an den Tag.
„Auf der Wanderschaft — 's sind zwanzig Jahr' —
da traf es sich einst gar sonderbar.
Ich hatt' nicht Geld, nicht Ranzen, noch Schuh',
war durstig und hungrig und zornig dazu:
Die Sonne bringt es an den Tag.
Da kam mir just ein Mann in die Quer';
ringsher war's still und menschenleer.
Halt! rief ich, du hilfst mir aus der Noth;
Len Beutel her! Sonst schlag' ich dich todt!
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.
Drauf sprach er: Vergieße nicht mein Blut;
acht Pfennige sind mein ganzes Gut!
Ich glaubt' ihm nicht; ich fiel ihn an;
er war ein alter, schwacher Mann: —
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.
So rücklings lag er blutend da,
sein brechendes Aug' in die Sonne sah;
da hob er zuckend die Hand empor, .
da schrie er röchelnd mir in'S Ohr:
Die Sonne bringt es an den Tag!
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