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Des Äneas Fahrt von Troja und seine Festsetzung in Latium hat Virgil, der
Zeitgenosse des Augustus, dichterisch ausgemalt. Die Sage von der Aussetzung der
Zwillingsbrüder im Tiber, ihre Erhaltung durch die Wölfin und den Hirten Fanstu-
lus, ihr Heranwachsen unter den Hirten und die Rache an Amnlius erinnert an die
Cyrussage (s. S. 23). Um die 400 Jahre zwischen der Zerstörung Trojas und der
Gründung Roms auszufüllen, erfand man die 14 Könige von Alba.
b) Der geschichtliche Kern der Gründungssage und die
angenommene Zeit der Gründung. Rom wurde wahrscheinlich als
Tochterstadt von Alba gegründet. Als Zeit der Gründung nahm man das
Jahr an, welches dem 4. Jahr der 6. Olympiade (f. S. 54') oder dem
Jahre 753 vor Beginn unserer Zeitrechnung entspricht.
Als Tag der Gründung Roms wird noch heute der 21. April (die Palilien,
s. S. 126) gefeiert. Der Zwist zwischen den Brüdern wegen des Anguriums und
der Namensgebung wurde durch die Tötung des Remus beendigt. Die ursprüngliche
Stadtanlage (urbs quadrata) war auf dem Palatiu (f. S. 122).
II. Die 7 Könige Roms. Rom wurde anfangs von Königen regiert.
Wiewohl Namen und Zahl' dieser Könige nicht über allen Zweifel erhaben
sind, so ist die von Livius und anderen Geschichtschreibern überlieferte Königs-
geschichte doch wichtig sür die Kenntnis der ältesten Zustände Roms. Denn
an die einzelnen Könige knüpfte man die Erinnerungen, welche sich aus der
Vorzeit erhalten hatten.
1. Romulus. Um die Stadt zu bevölkern, soll Romulus ein Asyl,
d. i. eine Freistätte für Heimatloses errichtet und den Raub der Sabine-
rinnen angeordnet haben. Der deswegen mit den Sabinern entstandene
Krieg führte zur Eroberung des Kapitols durch den König von Cures Titus
Tatius (Verrat der Tarpeja) und zur Aufnahme der Sabiner in den
römischen Staat. Zu den Ramnes (Ramnes — Romani) aus dem
Palatin traten jetzt die sabinischen Tities aus dem Quirinal. Das Kapitol
war wohl der beiden Stämmen gemeinsame Mittelpunkt der Ansiedlung.
Titus Tatius regierte neben Romulus (vgl. das Doppelkönigtum in Sparta);
nach dem Tode des Sabiners regierte Romulus wieder allein, bis er bei
einer Volksversammlung aus dem Marsfeld unter Gewitter zu den Göttern
entrückt wurde. Als Ouirinus3 wurde Romulus später göttlich verehrt.
Der römische König (rex v. rego, also Leiter) war sowenig wie der
altgriechische oder altgermanische unbeschränkt. Die Häupter der einzelnen
1 Vgl. die Siebenzahl der Hügel Roms.
2 äavÄov von a priv. und ovAda) „reiße weg".
3 * Die Wörter Quirinus, Quirinalis, Quirlt es (eine alte Bezeichnung für die
römischen Bürger), curia, Cures scheinen (wie Tities und Titus Tatius) auf eine
gemeinsame Wurzel zurückzugehen.
Stich, Lehrbuch der Geschichte. I. Bd. 4. Auflage. 9