Bald darauf trat Maren an der andern Seite der Dorfstraße mit
Mutter Stiue in deren Stübchen. „Aber Kind," sagte die Witwe, indem
sie ihr Spinnrad aus der Ecke holte, „weißt du denn das Sprüchlein für
die Regenfrau?" „Ich?" fragte das Mädchen, indem sie erstaunt den
Kopf zurückwarf. — „Nun, ich dachte nur, weil du so keck dem Vater
vor die Füße tratst." — „Nicht doch, Mutter Stiue, mir war nur so
ums Herz, und ich dachte auch, Ihr selber würdet's wohl noch beisammen
bekommen. Räumt nur ein bissel auf in Eurem Kopfe; es muß ja noch
irgendwo verkramet liegen!"
Frau Stiue schüttelte den Kops. „Die Urahne ist mir früh gestorben.
Das aber weiß ich noch wohl, wenn wir damals große Diirre hatten, wie
eben jetzt, dann pflegte sie wohl ganz heimlich zu sagen: ,Das tut der
Fenermann uns zum Schabernack, weil ich einmal die Regensran geweckt
habe'!" „Der Fenermann?" fragte das Mädchen, „wer ist denn das nun
wieder?" . Aber ehe sie noch eine Antwort erhalten konnte, war sie schon
ans Fenster gesprungen und rief: „Um Gott, Mutter, da kommt der
Andrees; seht nur, wie verstürzt er aussieht!" Tie Witwe erhob sich von
ihrem Spinnrade: „Freilich, Kind," sagte sie niedergeschlagen, „siehst du
denn nicht, was er auf dem Rücken trügt? Da ist schon wieder eines
von den Schafen verdurstet."
Bald darauf trat der junge Bauer ins Zimmer und legte das tote
Tier vor den Frauen ans den Estrich. „Da habt ihr's!" sagte er finster,
indem er sich mit der Hand den Schweiß von der heißen Stirn strich.
Die Frauen sahen mehr in sein Gesicht als auf die tote Kreatur. „Nimm
dir's nicht so zu Herzen, Andrees!" sagte Maren. „Wir wollen die
Regenfrau wecken, und dann wird alles wieder gut werden." „Die
Regensran!" wiederholte er tonlos; „ja Maren, wer die wecken könnte! —
Es ist aber auch nicht wegen dem allein; es ist mir etwas widerfahren
draußen." — Die Mutter faßte zärtlich seine Hand. „So sag es von
dir, mein Sohn," ermahnte sie, „damit es dich nicht siech mache!"
„So hört denn!" erwiderte er. — „Ich wollte nach unsern Schafen
sehen, und ob das Wasser, das ich gestern abend siir sie hinaufgetragen,
noch nicht verdunstet sei. Als ich aber auf den Weideplatz kam, sah ich
sogleich, daß es dort nicht seine Richtigkeit habe; der Wasserzuber war
nicht mehr, wo ich ihn hingestellt, und auch die Schafe waren nicht zu
sehen. Um sie zu suchen, ging ich den Rain hinab bis an den Niesen-
hügel. Als ich ans die andere Seite kam, da sah ich sie alle liegen,
keuchend, die Hälse lang ans die Erde gestreckt: die arme Kreatur hier
war schon krepiert. Daneben lag der Zuber umgestürzt und schon gänzlich
ausgetrocknet. Die Tiere konnten das nicht getan haben; hier mußte eine
böswillige Hand im Spiele sein."
„Kind, Kind!" unterbrach ihn die Mutter, „wer sollte.einer armen
Witwe Leides zufügen!"