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der gebildeten Stände jener Zeit, die auch in gedankenloser Nach¬
ahmung italienischer und französischer Vorbilder sich gefiel.
2) Diese unglückliche Umwandlung der deutschen Dichtkunst
wird als zweite schlesische Schule bezeichnet. Die tonan¬
gebenden Häupter derselben sind die beiden Schlesier Christian
Hoffmann von Hoffmannswaldau (1618—1679), den
seine Zeitgenossen den deutschen Ovid nannten, und Daniel
Kaspar von Loh enstein (1635—1683), der jenen an wider¬
lichem Ungeschmacke noch übertraf*).
3) Indessen fehlte es doch auch in jener Zeit nicht ganz an
edlem Bestrebungen; es traten bereits gegen Ende des 17. Jahr¬
hunderts einzelne Männer auf, die den widerlichen Uebertreibungen
und der für Geschmack und Sitten verderblichen Manier der Hoff-
mannswaldauer - Lohensteiner Schulpoesie durch ihre literarische
Thätigkeit entgegenarbeiteten. Hierher gehört schon Christian
Wernike aus Preußen (um 1700), der in geistvollen Epigram¬
men die „poetischen Zuckerbäcker", wie er die Lohensteiner nannte,
geißelte; ferner Rudolf Ludw. von Canitz 1699), Chri¬
stian Weiße (4 1708), Benjamin Neukirch (4 1729) und
einige Andere, die, wiewohl in ihren Gedichten bis zur Trockenheit
nüchtern, doch durch reinern Geschmack wohlthütig auf ihre Zeit
wirkten.
4) Vor Allen aber sind es zwei Männer, die zuerst wieder
Wahrheit und Natur an der Stelle erkünstelter Gefühle und
unwahrer Redensarten in die deutsche Poesie hineinbrachten, indem
sie den eigenen innern Menschen und dessen Erlebnisse zur
Quelle und zum Ausgange ihrer dichterischen Erzeugnisse machten.
Christian Günther, geboren 1695 in Schlesien, das begabteste
Dichtertalent des 17. Jahrhunderts, würde wohl schon damals
der deutschen Poesie eine neue Bahn gebrochen haben, wäre er
nicht früh einem ungeordneten Leben erlegen. Er starb zu Jena
1723.
5) Barthold Heinrich Brockes, geboren 1680 zu Ham¬
burg, wo er 1747 als Mitglied des Rathes seiner Vaterstadt starb,
ist einer der fruchtbarsten Dichter Deutschlands. Seine poetischen
Erzeugnisse sind unter dem Titel: „Irdisches Vergnügen in Gott"
(9 Bände, 1721 ff.) gesammelt, meist Betrachtungen über die
Natur als eine Offenbarung Gottes, mit einzelnen Schilderungen,
die zu dem Vorzüglichsten gehören, was die deutsche Literatur in
dieser Gattung besitzt.
Günther und Brockes haben zuerst wieder Sinn und Ver-
ständniß für das Wesen der Poesie und dadurch den Eintritt einer
bessern Zeit vorbereitet.
0 A n m erk. Lohenstein schrieb außer lyrischen Gedichten, Trauerspielen n. a.
auch einen weitschweifigen geschichtlichen Roman: „Arminius und Thusnelda"