Full text: [Teil 5 = [Kl. 5], [Schülerband]] (Teil 5 = [Kl. 5], [Schülerband])

Bald darauf trat Maren an der andern Seite der Dorfstraße mit 
Mutter Stiue in deren Stübchen. „Aber Kind," sagte die Witwe, indem 
sie ihr Spinnrad aus der Ecke holte, „weißt du denn das Sprüchlein für 
die Regenfrau?" „Ich?" fragte das Mädchen, indem sie erstaunt den 
Kopf zurückwarf. — „Nun, ich dachte nur, weil du so keck dem Vater 
vor die Füße tratst." — „Nicht doch, Mutter Stiue, mir war nur so 
ums Herz, und ich dachte auch, Ihr selber würdet's wohl noch beisammen 
bekommen. Räumt nur ein bissel auf in Eurem Kopfe; es muß ja noch 
irgendwo verkramet liegen!" 
Frau Stiue schüttelte den Kops. „Die Urahne ist mir früh gestorben. 
Das aber weiß ich noch wohl, wenn wir damals große Diirre hatten, wie 
eben jetzt, dann pflegte sie wohl ganz heimlich zu sagen: ,Das tut der 
Fenermann uns zum Schabernack, weil ich einmal die Regensran geweckt 
habe'!" „Der Fenermann?" fragte das Mädchen, „wer ist denn das nun 
wieder?" . Aber ehe sie noch eine Antwort erhalten konnte, war sie schon 
ans Fenster gesprungen und rief: „Um Gott, Mutter, da kommt der 
Andrees; seht nur, wie verstürzt er aussieht!" Tie Witwe erhob sich von 
ihrem Spinnrade: „Freilich, Kind," sagte sie niedergeschlagen, „siehst du 
denn nicht, was er auf dem Rücken trügt? Da ist schon wieder eines 
von den Schafen verdurstet." 
Bald darauf trat der junge Bauer ins Zimmer und legte das tote 
Tier vor den Frauen ans den Estrich. „Da habt ihr's!" sagte er finster, 
indem er sich mit der Hand den Schweiß von der heißen Stirn strich. 
Die Frauen sahen mehr in sein Gesicht als auf die tote Kreatur. „Nimm 
dir's nicht so zu Herzen, Andrees!" sagte Maren. „Wir wollen die 
Regenfrau wecken, und dann wird alles wieder gut werden." „Die 
Regensran!" wiederholte er tonlos; „ja Maren, wer die wecken könnte! — 
Es ist aber auch nicht wegen dem allein; es ist mir etwas widerfahren 
draußen." — Die Mutter faßte zärtlich seine Hand. „So sag es von 
dir, mein Sohn," ermahnte sie, „damit es dich nicht siech mache!" 
„So hört denn!" erwiderte er. — „Ich wollte nach unsern Schafen 
sehen, und ob das Wasser, das ich gestern abend siir sie hinaufgetragen, 
noch nicht verdunstet sei. Als ich aber auf den Weideplatz kam, sah ich 
sogleich, daß es dort nicht seine Richtigkeit habe; der Wasserzuber war 
nicht mehr, wo ich ihn hingestellt, und auch die Schafe waren nicht zu 
sehen. Um sie zu suchen, ging ich den Rain hinab bis an den Niesen- 
hügel. Als ich ans die andere Seite kam, da sah ich sie alle liegen, 
keuchend, die Hälse lang ans die Erde gestreckt: die arme Kreatur hier 
war schon krepiert. Daneben lag der Zuber umgestürzt und schon gänzlich 
ausgetrocknet. Die Tiere konnten das nicht getan haben; hier mußte eine 
böswillige Hand im Spiele sein." 
„Kind, Kind!" unterbrach ihn die Mutter, „wer sollte.einer armen 
Witwe Leides zufügen!"
	        
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