Full text: Quellenlesebuch (H. 5)

4. Perikles' letzte Schicksale und Charakter. 
19 
alte Ägypten. Plaw glaubte eine Zeitlang, man werde sich bemühen, die von ihm 
entworfene Verfassung zu verwirklichen. Die erste Voraussetzung war, daß die 
Philosophen Könige oder die Könige Philosophen würden. Besondere Hoffnung 
setzte Plato auf den Tyrannen Dionysius von Syrakus. Als sich seine Erwartungen 
nicht erfüllten und sein „Staat" in denjenigen Kreisen, auf deren Zustimmung er ge- 
rechnet hatte, wenig Anklang fand, gab er in den „Gesetzen" die Grundzüge des zweit- 
besten, mehr der Wirklichkeit angepaßten Staates. 
Plaw hat kein einheitliches, folgerichtig durchgeführtes Lehrgebäude aufgestellt. 
Seine Vorstellungen sind nicht immer klar, und zuweilen begegnen wir Irrtümern 
und Phantastereien. Aber unbestritten bleibt sein Verdienst, den göttlichen Funken 
in der menschlichen Nawr erkannt, ehrlich nach der Wahrheit gerungen, eine Fülle 
der tiefsten Gedanken entwickelt zu haben und in einer Zeit religiöser und politischer 
Auflösung, wo die meisten Gebildeten sich einem öden Materialismus in die Arme 
warfen, mutig für eine ideale Lebensauffassung in die Schranken getreten zu sein. 
Seine sprachliche Begabung verlieh ihm die Fähigkeit, den erhabenen Inhalt in eine 
würdige Form zu gießen. Ein Hauch der Poesie liegt über den mit dramatischer 
Lebendigkeit verfaßten Gesprächen, die zu den unvergänglichen Meisterwerken der 
Literatur gehören. Als die vollendetsten Dialoge — fast alle Schriften Piatos sind 
in Dialogform geschrieben — gelten „Protagoras", „Phädon" und das „Gastmahl", 
welche über das Wesen der Tugend, die Unsterblichkeit der Seele und die Liebe handeln. 
Der geniale Jünger des Sokrates hat wie wenige andere anregend und befruchtend, 
läuternd und erhebend auf die Nachwelt gewirkt. Deshalb herrscht auch über seine 
Wertschätzung eine seltene Einstimmigkeit. Jüdische Schriftsteller nennen ihn den 
attischen Moses, Cicero sieht in ihm gleichsam den Gott unter den Philosophen, und 
die Kirchenväter erachten feine Philosophie als eine Vorschule zur christlichen Er¬ 
kenntnis. 
4. Perikles' letzte Schicksale und Charakter. 
Aus Thucydides (Geschichte des Peloponnesischen Krieges, übersetzt aus dem 
Griechischen von I. D. Heilmann, neu herausgegeben von Otto Gütpng. 
I. Bd. Leipzig, Philipp Reclam jun.). 
59. Inzwischen fingen die Athener an, nach diesem zweiten Einfall der Pelo- 
ponnefer, der ihrem Lande eine zweite Verwüstung zuzog, und wobei sie durch die 
Seuche und den Krieg zugleich bedrängt wurden, in ihren Gesinnungen eine Änderung 
merken zu lassen. Sie führten laute Klagen gegen Perikles, der ihnen zu dem Kriege 
geraten habe, und der allein an allen den Unfällen, die sie Betroffen haben, schuld sei, 
und ließen eine starke Neigung spüren, sich gegen die Lazedämoner zu bequemen, 
schickten auch verschiedene Botschafter dahin, die aber unverrichteter Sache wieder 
zurückkamen. Da sie also nunmehr nicht mehr wußten, was sie anfangen sollten, 
so setzten sie Perikles heftig zu. Als dieser nun sah, daß sie über ihr Schicksal miß- 
vergnügt waren, und sich gerade so anstellten, wie er es vermutet hatte, ließ er, da 
er noch die Stelle eines Feldherm bekleidete, eine Versammlung Berufen, in der 
Abficht, ihnen einigen Mut einzusprechen, ihre ü&ereilte Heftigkeit zu besänftigen, 
und sie milder und furchtloser zu stimmen. Er trat also auf und hielt folgende Rede 
vor ihnen: 
2*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.