Full text: Griechisch-römische Altertumskunde

— 85 — 
Wiederholungsfalle gar sein Klagerecht verlieren. Vom Staate beauf- 
tragte Ankläger, sogen. Staatsanwälte, gab es nicht, gewerbsmäßige 
Ankläger dagegen, Sykophanten, gab es in den letzten Jahrhunderten 
in immer steigender Zahl. 
Die Vorladung des Angeklagten, die bei uns das Gericht be- 
sorgt, war damals Sache des Klägers (ebenso in Rom). Vor Gericht 
durfte der Angeklagte keinen Rechtsbeistand mitbringen, wohl aber 
Angehörige und Freunde, die fast regelmäßig dazu mißbraucht wurden, 
Mitleid zu erwecken. 
Offizielle Schiedsmänner (<5 dWn^?) gab es in Athen, wie in 
Rom und bei uns; bei den meisten Privatklagen war es üblich oder 
gar notwendig, sich erst an einen Schiedsmann zu wenden. 
§ 85. Die Gerichtsverfassung. 
Den 9 Archonten stand die oberste Leitung des Rechtsganges 
und die Untersuchung des Falles zu. Ihre Zuständigkeit war eng 
umschrieben- so gehörte das ganze Familienrecht vor den Archon 
Eponymos, die religiösen und Mordsachen vor den Archon Basileus, 
die Metoiken- und Fremdenprozesse vor den Archon Polemarchos, alles 
andere vor das Kollegium der Thesmotheten. Zur Aburteilung brachten 
die Archonten die von ihnen untersuchte Sache vor die beiden stehenden 
Gerichtshöfe des Areopags oder der Epheten (d. h. Anweiser des 
Rechts) oder aber vor das Volksgericht der Heliaia, und zwar mußten 
sie Mord und Brandstiftung vor den Areopag, leichtere Blutsachen vor 
die Epheten, alles andere aber vor einen der 10 Heliastengerichtshöfe 
bringen. 
Die Heliaia bestand aus 5 — 6000 Bürgern, die das 30. Lebens- 
jähr überschritten hatten und sich freiwillig meldeten. Bei normaler 
Stärke bestand ein Gerichtshof aus 500 Geschworenen, bei sehr wich- 
tigen Gelegenheiten nahm man bis zu 2000, bei unbedeutenden genügten 
dagegen schon 200. 
Der Prozeßgang vor einem Heliasten-Gerichtshof war 
sowohl im Zivil- wie im Kriminalverfahren dasselbe. 
a) Vorverhandlung beim Archon. Die Klage und die Erwiderung 
des Angeklagten wurden aufgeschrieben und beiderseits beschworen 
(*5 ävTwfiooicc)] dasselbe geschah mit den Zeugenaussagen; über¬ 
haupt wurde das ganze Beweismaterial zusammengestellt. 
b) Verhandlung vor dem Gerichtshof. Erst am Morgen des Ge- 
richtstages wurde für jede Sache einer der 10 Gerichtshöfe aus¬ 
gelost, so daß vorherige Beeinflussung der Richter ausgeschlossen 
war. Nach Gebet und Opfer verlas ein Herold Klage und Er- 
widerung. Dann erteilte der leitende Archon den Parteien das 
Wort, zuerst dem Kläger, dann dem Beklagten, wobei das ge- 
setzlich bestimmte Zeitmaß der Rede durch eine Wasseruhr ge¬ 
regelt wurde. Das Vorlesen der Zeugenaussagen, der Gesetze 
usw. besorgte auf den Wunsch des Redners der Herold, doch 
wurde während dieser Zeit der Abfluß der Wasseruhr gehemmt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.