Zustände in der ersten Hälfte des griechischen Mittelalters.
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Zustände in der ersten Hälfte des griechischen Mittelalters.
Um die Zustände der Jahrhunderte, die auf die dorische Wande¬
rung folgten, zu erkennen, dürfen wir die homerischen Gedichte
benutzen; denn obwohl der Dichter Ereignisse einer Zeit erzählen
wollte, die lange vor der seinigen lag, des heroischen Zeitalters, wo
die Götter zur Erde herniederstiegen und die Menschen stärker und
heldenhafter waren als nachher, so sind doch die den Hintergrund
der Ereignisse bildenden Zustände, die er schildert, in der Haupt¬
sache die der eigenen Zeit.
§ 20. Die wirtschaftlichen Verhältnisse. Auch jetzt spielt die
Viehzucht noch eine bedeutende Rolle; Königssöhne weiden ihr Vieh
auf den Bergtriften, der Reichtum des Odysseus besteht zu einem
wesentlichen Teile aus seinen Herden. Daneben aber hat sich der
Ackerbau entwickelt: man düngt bereits den Boden, baut Wein
und anderes Obst und den Ölbaum. Neben diesen Zweigen der
Urproduktion ist das die Rohstoffe verarbeitende und veredelnde Ge¬
werbe noch wenig entwickelt. Zwar giebt es einige Gewerbe, die
für den Verkauf arbeiten, z.B. das der Schmiede, oder für Lohn ihre
Dienste anbieten, wie das der Sänger, der Ärzte, der Herolde; aber
im ganzen ist die Arbeitsteilung noch wenig fortgeschritten. Wie
man die Bodenerzeugnisse, die man braucht, selbst gewinnt, so fertigt
man seine Geräte, seine Kleider selbst; man kauft nur, was man
nicht erzeugen kann, Metalle und Metallgeräte, orientalische Luxus¬
waren. So ist denn der Austausch von Gütern, der Handels¬
verkehr, sehr gering: die Edelmetalle werden hochgeschätzt, aber
noch nicht als Geld gebraucht; als Tauschmittel gilt das Vieh.
Man nennt eine solche Art der Wirtschaft Eigenwirtschaft oder,
weil sie noch kein Geld, sondern nur den Austausch von Naturalien
kennt, Naturalwirtschaft.
Nun konnte, sobald ein Privateigentum an Grund und Boden
entstand, die Gleichheit des Besitzes, auch wenn sie ursprünglich vor¬
handen war, nur durch gesetzliche Maßregeln, wie in Sparta, fest¬
gehalten werden; wenn diese fehlten, so mußten sich — auch abge¬
sehen von kriegerischen Eroberungen, die zur Knechtung der Besiegten
führten — schon durch Erbteilungen wie durch Heiraten Unterschiede
des Besitzes herausbilden: es entstand ein Großgrundbesitz. In
einer Zeit aber, wo es noch kein vom Grundbesitz losgelöstes Ge¬
werbe gab, wo man nichts erzeugen, nichts erwerben konnte, ohne
Anteil am Grund und Boden zu besitzen, konnte der, welcher keinen
oder wenig Grundbesitz hatte, seine Selbständigkeit dem großen Be¬
sitzer gegenüber nicht behaupten. Aus der Ungleichheit des Besitzes
entstand die Ungleichheit des Rechts. Der Arme wurde abhängig
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Eigenwirt¬
schaft.
Großgrund¬
besitz.