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Das Zeitalter der religiösen Kämpfe 1519 — 1648.
§ 103. Martin Luther. Martin Luther stammte aus einer Bauern¬
familie. Sein Vater, der aus Thüringen gebürtig war, arbeitete als armer
io. Novbr. Bergmann in Eisleben, wo sein Sohn Martin am 10. November 1483
1483' geboren wurde; später zog er nach M a n s f e l d, wo er sich ein Haus erwarb
und ein angesehener Mann wurde. Der Sohn wurde streng erzogen und
oft „hart gestäupt". Mit vierzehn Jahren wurde er nach Magdeburg
auf die lateinische Schule gebracht, von wo er bald nach Eisenach über¬
siedelte ; dort sang er, um sein Brot zu verdienen, als Kurrendeschüler toor
den Häusern. Erst als sich Frau Ursula Cotta seiner erbarmte und ihn
Erfurt, an ihren Tisch zog, lernte er ein behaglicheres Leben kennen. 1501 bezog
lo01' er die Universität Erfurt; er sollte Jura studieren, um später ein Beamter
werden zu können. Aber nach vierjährigem Studium trat Luther, von
1505. Gewissensängsten getrieben, in das Kloster der Augustiner in Erfurt ein.
Dort unterzog er sich allen mönchischen Pflichten mit dem größten Eifer und
der größten Selbstverleugnung. Er sammelte Almosen vor den Türen der
Leute, er marterte Leib und Seele durch Buhübungen und Kasteiungen, er
vertiefte sich in die Schrift und die Kirchenlehrer, ohne doch den Frieden des
Herzens mit Gott zu finden. Da brachte ihm zuerst der Generalvikar des
Ordens, Johann Staupitz, die Überzeugung nahe, daß der Mensch
nicht durch die eigenen Werke gerecht werden könne, daß Gott aber um
Christi willen dem, der reuig zu ihm komme, seine Sünden vergebe. Und
diese Überzeugung kräftigte sich in ihm mehr und mehr durch das Studium
der Briefe des Apostels Paulus und der Schriften des großen Kirchenvaters
Augustinus. Seitdem ward Luther immer fester in sich, immer mutiger,
immer freudiger, ein starker religiöser Charakter. 1508 wurde er auf
508**0’ (Stäupt^ Betreiben an die Universität Wittenberg berufen, die
der sächsische Kurfürst FriedrichderWeisevor kurzcm gegründet hatte;
dieser entstammte der ernestinischen Linie des Hauses Wettin, während die
albertinische Linie in Sachsen-Meißen herrschte. Einige Jahre später hatte
Luther in Ordensangelegenheiten eine Reise nach Rom zu machen.
Da kam 1517 Tetzel, zwar nicht nach Kursachsen, das ihm der
Kurfürst zu betreten verboten hatte, aber doch an die Grenze des sächsischen
Gebietes und fand auch aus Wittenberg viel Zulauf. Unter diesen Um¬
ständen fühlte sich Luther durch seine Pflicht als Seelsorger gedrängt, nicht
zu schweigen, sondern sich gegen den Mißbrauch des Ablasses öffentlich zu
erklären, und am Abend des 31. Oktober 1517 schlug er seine lateinisch
Die abgefaßten 95 Thesen über den Ablaß an die Tür der Schloßkirche zu
8v Oktober Wittenberg. Er hatte dabei zunächst nur die Absicht, Tetzel zur öffentlichen
1517' Disputation herauszufordern, wie das damals unter Gelehrten häufig vor-