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und rief, über die Schwelle in die Stube herein stolpernd:
„Der Herr Pate läszt Vater und Mutter recht schön grüszen,
und ich soll bald wieder kommen.“
Noch an dem nemlichen Abende wechselten die Nachbars¬
leute einige freundliche Worte über die Gasse, am folgenden
saszen die weisze und die gelbe Schürze wieder auf der grünen
Bank beisammen, am dritten zeigten die Weiber einander die
Leinwand, zu der sie in den bösen drei Jahren oft mit ihren
Thränen über den unseligen Zwist den Faden genetzt hatten.
Und es war hohe Zeit, dasz der Herr den Friedensboten
erweckt hatte. Denn einige Wochen darauf verfiel der Bäcker
unerwartet schnell in einen Nervenfieber-Schlaf und aus diesem
nach wenigen lichten Augenblicken in den Todesschlummer.
Gott gebe ihm eine fröhliche Urständ1)! Amen.
141. Der Hahn.
Harald Lenz. (Gekürzt.)
Gemeinnützige Naturgeschichte. II. Band. Gotha. 1835. 8. 210.
Nach meinem Geschmacke ist ein recht schöner, stolzer und kühner
Hahn unter allen Vögeln der angenehmste. Hoch trägt er sein gekröntes
Haupt, nach allen Seiten spähen seine feurigen Augen, unvermuthet
überrascht ihn keine Gefahr, und jeder möchte er trotz bieten. Wehe
jedem Nebenbuhler, der es wagt, sich unter seine Hühner zu mischen!
Alle seine Gedanken weiß er durch verschiedene Töne und verschiedene
Stellungen des Körpers auszudrücken. Bald hört man ihn mit lauter
Stimme seine Lieben rufen, wann er ein Körnchen gefunden hat, denn
er theilt mit ihnen jeden Fund, bald sieht man ihn in einer Ecke
kauern, wo er eifrig bemüht ist, ein Nestchen für eine Henne zu
bilden; jetzt zieht er an der Spitze seiner Schar, deren Beschützer und
Führer er ist, hinaus ins Freie; aber kaum hat er hundert Schritte
gethan, so hört er vom Stalle her den freudigen Ruf einer Henne,
welche verkündet, daß sie ein Ei gelegt hat. Spornstreichs kehrt er
zurück, begrüßt sie mit zärtlichen Blicken, stimmt in ihren Freudenruf
ein und eilt dann in vollem Laufe dem ausgezogenen Heere nach, um
sich wieder an dessen Spitze zu stellen.
Mit lautem Krähen verkündet er den anbrechenden Morgen und
weckt den fleißigen Landmann zu neuer Arbeit. Ist er auf eine
Mauer oder ein Dach geflogen, so schlägt er die Flügel kräftig zusammen
und kräht und scheint sagen zu wollen: „Hier bin ich Herr; wer wagt's
mit mir?" Ist er von einem Menschen gejagt worden, oder hat er
sonst eine Gefahr glücklich bestanden, so kräht er wieder aus Leibes¬
kräften und verhöhnt wenigstens den Feind, dem er nicht schaden
kann. Am schönsten entfaltet er seine ganze Pracht, wenn er früh
morgens, der langen Ruhe müde, das Hühnerhaus verläßt und vor
demselben die nachfolgenden Hühner freudig begrüßt; aber noch schöner
und stolzer erscheint er in dem Augenblicke, wo das Geschrei eines
>) Urständ, Auferstehung.