Full text: [Theil 1, [Schülerband]] (Theil 1, [Schülerband])

112 
und rief, über die Schwelle in die Stube herein stolpernd: 
„Der Herr Pate läszt Vater und Mutter recht schön grüszen, 
und ich soll bald wieder kommen.“ 
Noch an dem nemlichen Abende wechselten die Nachbars¬ 
leute einige freundliche Worte über die Gasse, am folgenden 
saszen die weisze und die gelbe Schürze wieder auf der grünen 
Bank beisammen, am dritten zeigten die Weiber einander die 
Leinwand, zu der sie in den bösen drei Jahren oft mit ihren 
Thränen über den unseligen Zwist den Faden genetzt hatten. 
Und es war hohe Zeit, dasz der Herr den Friedensboten 
erweckt hatte. Denn einige Wochen darauf verfiel der Bäcker 
unerwartet schnell in einen Nervenfieber-Schlaf und aus diesem 
nach wenigen lichten Augenblicken in den Todesschlummer. 
Gott gebe ihm eine fröhliche Urständ1)! Amen. 
141. Der Hahn. 
Harald Lenz. (Gekürzt.) 
Gemeinnützige Naturgeschichte. II. Band. Gotha. 1835. 8. 210. 
Nach meinem Geschmacke ist ein recht schöner, stolzer und kühner 
Hahn unter allen Vögeln der angenehmste. Hoch trägt er sein gekröntes 
Haupt, nach allen Seiten spähen seine feurigen Augen, unvermuthet 
überrascht ihn keine Gefahr, und jeder möchte er trotz bieten. Wehe 
jedem Nebenbuhler, der es wagt, sich unter seine Hühner zu mischen! 
Alle seine Gedanken weiß er durch verschiedene Töne und verschiedene 
Stellungen des Körpers auszudrücken. Bald hört man ihn mit lauter 
Stimme seine Lieben rufen, wann er ein Körnchen gefunden hat, denn 
er theilt mit ihnen jeden Fund, bald sieht man ihn in einer Ecke 
kauern, wo er eifrig bemüht ist, ein Nestchen für eine Henne zu 
bilden; jetzt zieht er an der Spitze seiner Schar, deren Beschützer und 
Führer er ist, hinaus ins Freie; aber kaum hat er hundert Schritte 
gethan, so hört er vom Stalle her den freudigen Ruf einer Henne, 
welche verkündet, daß sie ein Ei gelegt hat. Spornstreichs kehrt er 
zurück, begrüßt sie mit zärtlichen Blicken, stimmt in ihren Freudenruf 
ein und eilt dann in vollem Laufe dem ausgezogenen Heere nach, um 
sich wieder an dessen Spitze zu stellen. 
Mit lautem Krähen verkündet er den anbrechenden Morgen und 
weckt den fleißigen Landmann zu neuer Arbeit. Ist er auf eine 
Mauer oder ein Dach geflogen, so schlägt er die Flügel kräftig zusammen 
und kräht und scheint sagen zu wollen: „Hier bin ich Herr; wer wagt's 
mit mir?" Ist er von einem Menschen gejagt worden, oder hat er 
sonst eine Gefahr glücklich bestanden, so kräht er wieder aus Leibes¬ 
kräften und verhöhnt wenigstens den Feind, dem er nicht schaden 
kann. Am schönsten entfaltet er seine ganze Pracht, wenn er früh 
morgens, der langen Ruhe müde, das Hühnerhaus verläßt und vor 
demselben die nachfolgenden Hühner freudig begrüßt; aber noch schöner 
und stolzer erscheint er in dem Augenblicke, wo das Geschrei eines 
>) Urständ, Auferstehung.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.