Full text: Geschichte des Mittelalters (Abt. 2)

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Das heilige römische Reich deutscher Nation. 
ein, der nun in seinen Fluten die Toten ausnahm. — Jammer und Ver¬ 
zweiflung bemächtigten sich der Menschen, aber auch das Laster erhob 
sich mit nie gesehener Frechheit, und Bösewichter benützten die Zeit des 
Schreckens zu Diebstahl, Raub und Mord. Da entstand plötzlich das 
Gerücht, die Juden hätten die Brunnen vergiftet, um die 
Christenheit zu vertilgen. Es starben nämlich verhältnismäßig sehr 
wenige Juden, woran wohl ihre Mäßigkeit Ursache war, wodurch sich 
dieses Volk von jeher auszeichnete, sowie ihre Vorsicht. Nun hatte man 
bemerkt, daß die Juden ihr Trinkwasser nicht mehr aus den öffentlichen 
Brunnen holten, weil sie es ohne Zweifel und mit Necht für verun- 
reinigt hielten, sondern das Regenwasser, das reinste Wasser, das in der 
Natur zu haben ist, in Gefäßen auffingen und zum Trinken und Kochen 
benutzten — daraus und aus dem Volkshasse gegen die Juden, den Böse- 
wichter schürten, erhob sich das Geschrei, sie hätten die Brunnen ver- 
giftet, das in eine gräßliche Verfolgung umschlug. Die Juden wurden 
namentlich in den Städten, wo sie sich zahlreich niedergelassen hatten, 
von dem Pöbel ermordet, nnd da verhaftete Juden durch die entsetzlichen 
Qnalen der Folter in der Verzweiflung aussagten, daß sie Gift in die 
Brunnen geworfen hätten, so wurden sie in vielen deutschen Städten auf 
Anordnung der Obrigkeit mit Weibern und Kindern vertilgt und zwar 
gewöhnlich durch Feuer. Wo die Obrigkeit die Juden schützen wollte, 
weil sie von ihrer Unschuld überzeugt war, empörten sich die Bürger 
und fielen mörderisch über die Unglücklichen her. Da half keine Be- 
tenerung der Unschuld, keine Hinweisuug, daß die Pest auch da wüte, 
wo keine Juden sich aufhalten, die Wut gegen Juden legte sich nur nach 
und nach und erwacIe noch mehrmals in dem folgenden Jahrhundert. 
Eine schwere Strafe stand auf dem Abfall von der Kirche. Häre- 
tiker oder Keher wurden, wenn sie der Häresie für schuldig befunden 
und sich nicht bekehrten, der weltlichen Obrigkeit überliefert und von 
dieser, nach den bestehenden Gesetzen, gewöhnlich dem Feuertode überliefert. 
Die Strafe war hart, aber falsch ist die Behauptung, daß die mittel- 
alterlichen Häretiker harmlose Leute gewesen seien, die gerne in der Stille 
ihrer Überzeugung gelebt hätten, aber dem spürenden Glaubettshasse zum 
Opfer fielen, sondern die Geschichte lehrt, daß fast alle Häresien mit dem 
größten Eifer Anhänger warben und die Kirche mit glühendem Hasse 
verfolgten, dem es nur an der Macht zu einem Religionskriege fehlte. 
So konnte die Kirche dem Abfalle nicht ruhig zusehen und auf der an- 
dern Seite waren die damaligen Staaten so innig mit der Kirche ver- 
buudeu, daß der Abfall von der Kirche zugleich als eine Empörung 
gegen den Staat betrachtet und bestraft wurde. 
Die bedeutendste Häresie war die der Albigenser (von der Stadt
	        
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