§ 10. Die Westgoten. 23
die erbetene Aufnahme. Etwa 200000 waffenfähige Männer über¬
schritten, nachdem sie die Waffen abgeliefert, 376 mit Weibern und
Kindern die Donau und erhielten in Mösien (dem heutigen Bulgarien)
Wohnsitze. Sie weideten ihre Herden und bebauten das Land. Aber
bald vertauschten sie Hacke und Spaten mit den Waffen. Der Druck,
den habsüchtige römische Beamte ausübten, indem sie die Verträge
verletzten und die neuen Ansiedler aussogen, bestimmte letztere zum
Aufstand. Von Wut erfüllt, zogen sie plündernd durch Mösien,
Thrakien, Makedonien. Bei Adrianopel trat ihnen 378 ein von^NA"^.
Valens geführtes römisches Heer entgegen. Die Römer wurden be¬
siegt und Valens verlor das Leben.
4. Sein Nachfolger, der Kaifer Theodosius der Große (379
bis 395), erkannte die Notwendigkeit eines friedlichen Verhältnisfes
zwischen den Westgoten und Rom. Von dieser Erkenntnis geleitet,
suchte er die Empörer zu versöhnen und sie als Kriegs- und Bundes¬
genossen zu gewinnen. Es gelang ihm durch einen Vertrag, welcher
den Westgoten Land in Mösien und Thrakien anwies, ihnen Abgaben¬
freiheit und das Recht, unter nationalen Befehlshabern zu leben, zu¬
sicherte, sie aber zur Stellung eines Heeres für den römischen Kriegs¬
dienst verpflichtete.
Kurz vor seinem Tode (395) teilte Theodosius das Reich in zwei ^Ades
Teile, welche durch eine zwischen Italien und der Balkanhalbinsel von 9iet*e§ 395-
Süd nach Nord gehende Linie geschieden wurden, in das Weströmische
Reich (Hauptland: Italien mit Rom) und in dasOströmische Reich
(Hauptland: Balkanhalbinsel mit Konstantinopel). Ersteres bekam sein
Sohn H o n o r i n s, letzteres sein Sohn A r k a d i n s. Da beide Herrscher
noch in sehr jugendlichem Alter standen, so übertrug Theodosius dem
wasfenknndigen Stilicho, einem Vandalen, der sich aber ganz als Römer
fühlte, die Verwesung des Weströmischen Reiches und dem ränkesüchtigen
Gallier Rufinus die Verwesung des Oströmischen Reiches.
5. Noch in demselben Jahr änderte sich das Verhältnis zwischen Alarich.
den Westgoten und den Römern. Rufiuus fühlte sich nicht an die
Verträge gebunden und verletzte das gute Einvernehmen mit den
germanischen Ansiedlern. Infolgedessen scharten sich diese zusammen,
erhoben Alarich, einen Mann von größter Tatkraft aus dem Ge¬
schlecht der Balten (d. i. der Kühnen) nach altväterlicher Weise auf
den Schild, ernannten ihn zu ihrem König und sagten sich von der
Schutzhoheit Ostroms los. Unter furchtbaren Verheerungen zog nun
Alarich mit seinen kampses- und raublustigen Stammesgenossen im
Oströmischen Reiche umher; er kam durch den Paß der Thermopylen
nach Mittelgriecheuland und gelangte auch nach dem Peloponnes.
Schwer hatten dabei die Stätten der altklassischen Kunst und Bildung,
wie Athen und Korinth u. a., zu leiden. Der Bestand des Oströmischen