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Sittsamkeit umfloß, wie Mondenschimmer,
Ihre Rosenwangen, ihren Blick;
Nimmer wich der Seraph Unschuld, nimmer
Von der holden Schäferin zurück.
Jünglingsblicke taumelten voll Feuer
Nach dem Reiz des lieben Mädchens hin;
Aber keiner, als ihr Vielgetreuer,
Rührte jemals ihren Sinn.
Keiner, als ihr Wilhelm! Frühlingsweihe
Ries die Edlen in den Buchenhain;
Angeblickt von Maienhimmelbläue
Flogen sie den deutschen Ringelreihn.
Röschen gab ihm Bänder mancher Farbe,
Kam die Ernt', an seinen Schnitterhut,
Saß mit ihm auf einer Weizengarbe,
Lächelt' ihm zur Arbeit Muth,
Band den Weizen, welchen Wilhelm mähte,
Band und äugelt' ihrem Liebling nach,
Bis die Kühlung kam, und Abendröthe
Durch die falben Westgewölke brach.
Ueber alles war ihm Röschen theuer,
War sein Taggedanke, war sein Traum;
Wie sich Röschen liebte und ihr Treuer,
Lieben sich die Engel kaum.
Wilhelm, Wilhelm, Sterbeglocken Hallen,
Und die Grabgesänge heben an;
Schwarzbeflorte Trauerleute wallen,
Und die Todtenkrone weht voran.
Wilhelm wankt mit seinem Liederbuche,
Nasses Auges, an das offne Grab,
Trocknet mit dem weißen Leichentuche
Sich die Hellen Thränen ab.
Schlumm're sanft, du gute, fromme Seele,
Bis auf ewig dieser Schlummer flieht!
Wein' auf ihrem Hügel, Philomele,
Um die Dämmerung ein Sterbelied!
Weht wie Harfenlispel, Abendwinde,
Durch die Blumen, die ihr Grab gebar;
Und im Wipfel dieser Kirchhoflinde
Nist' ein Turteltanbenpaar!
Wenn man übrigens bis auf Göthe die Elegie unter dem
oben angedeuteten Begriffe eines wonnig-wehmüthigen Gedichtes