336 Neueste Geschichte. §. 483.
von Magdeburg und Olmütz schmachten ließen. Talleyrand begab sich
nach England und von da nach Amerika, wo er ruhigere Zeiten abwartete.
4. Das republikanische Frankreich unter der Herrschaft öes National-
convents (September 1792 bis October 1795).
§. 483. Hinrichtung des Königs. Die neue Versammlung, die unter
dem Einflüsse der Jakobiner nach allgemeinem Wahlrecht gewählt wurde,
bestand fast ausschließlich aus Republikanern, aber von verschiedener Natur
und Gesinnung. Die Gemäßigten, deren Benennung „Girondisten"
mehr und mehr zum gehässigen und verächtlichen Parteinamen wurde, die
nach einer republikanischen Staatsform int Sinne des Alterthums oder der
Vereinsstaaten Nordamerikas strebten und die blutigen Mittel verabscheuten,
erlagen allmählich der Partei der Nadiealen und Demokraten, die zu-
vor alle bestehenden Ordnungen mit Gewalt umstürzen und dann auf dem
geebneten Boden einen neuen Zustand der „Freiheit und Gleichheit"
begründen wollten. Sie handelten nach dein Grundsatz: „wer nicht für uns
ist, ist wider uns", und suchten durch Schrecken und Blutvergießen allen
Widerstand niederzuschlagen. Stark durch die Jakobinerelubs und durch die als
„Sauseülotten" bezeichneten wilden Banden der zahlreichen Revolutions-
streitet, die durch Gesänge (Marseillaise; Qaira), Revolutionsfeste, Freiheits¬
bäume u. bergt m. in steter Aufregung gehalten wurden, erlangte die Partei
des Umsturzes bald die Oberhand. — Der Prozeß des Königs „Ludwig
Gap et" war eine der ersten Handlungen des Nationale ottvents. In einer
Wand der Tuilerien hatte man einen eisernen Schrank mit geheimen Briefen
und Aetenstücken entdeckt, aus denen hervorging, daß der französische Hof
nicht nur mit Oesterreich und den Emigranten in Verbindung gestanden und
mit ihnen Pläne zum Umsturz der von Ludwig beschworenen Verfassung ent-
worsen, sondern daß er auch durch Jahrgelder, Bestechung und andere Mittel
einzelne Glieder der Nationalversammlung (z. B. Mirabeau) zu gewinnen
gesucht. Darauf gründeten die Republikauer, die sich gern des Königs ent-
ledigen wollten, die Anklage auf Venrath und Verschwörung gegen Land und
Volk. Unter dem Beistande zweier Rechtsanwälte, denen sich aus freiem An¬
triebe der edle Malesherbes (§. 460) anschloß, erschien Ludwig zweimal
vor dem Convent (11. und 26. Dee^>, aber trotz seiner würdevollen Haltimg
und Verteidigung und trotz der Bemühungen der Girondistenpartei, die
das Urtheil dem gesanunten Volke anheimgestellt wissen wollte, wurde
Ludwig in einer stürmischen Sitzung mit der geringsten Mehrheit zum
^rns"' Tode verurtheilt. Die Partei des Bergs, wo der Advoeat Maximilian
Noücspierre, der ehemalige Marquis St. Jüst, der schreckliche Danton,
der lahme Couthon und der Herzog von Orleans, der den Namen
Bürger Egalit6 angenommen, die Leiter und Stimmführer waren, hatte
alle Mittel aufgeboten, um durch Schrecken dieses Resultat zu erlangen;
aber sie wäre doch nicht zum Ziele gekommen, hätte sie nicht zuvor in der
Versammlung den Beschluß durchgesetzt, daß zu einem Todesurtheil nicht, wie
bisher üblich, zwei Drittel der Stimmen erforderlich seien, sondern daß die
bloße Majorität genüge. So wurde die Ermordung in eine gerichtliche Form
gehüllt. Schon am 21. Januar bestieg der unglückliche König das Blut-
gerüfte auf dem Revolntionsplatz. Der Trommelwirbel der Nationalgarde
übertönte feine letzten Worte, und „Robespierre's Weiber" begrüßten fein
blutendes Haupt mit dem Ausruf: „Es lebe die Republik!" So wurden m
jenen verhängnisvollen Tagen zwei große Verbrechen begangen, in Frank¬
reich ein Königsmord, in Pölert ein Volksmord.