290 Die politische Lage Europas nach dem westfälischen frieden. §§ 432—433.
Mnfter Zeitraum.
Vom westfälischen Nrieden, 1648, bis zur Gegenwart, ißtlbung der
brandenburgisch - preußischen Großmacht. Glitte des deutschen Geisteslebens.
Befreiungskriege. Aufrichtung des deutschen Kaiserreichs.
Deutsche Aationalgeschichte.
A. Zeit des Übergewichts Frankreichs in Curopa.
Sinken der habsburgiscken Alonarchien. Emporwachsen
Preußens. 1648-1740.
L Die politische Lage Europas.
§ 432. In dem großen dreißigjährigen Kriege, der zuletzt nicht mehr
ein deutscher, sondern ein europäischer Krieg gewesen war, waren die
österreichisch-spanischen Monarchien unterlegen: die katholische Welt-
Herrschaft bedrohte fortanEuropa nicht mehr. Aber an ihre Stelle tratinEuropa
Frankreichs Uebergewicht, das vomKardinal Richelieu (§ 396) begründet, vom
Kardinal Mazarin weiter befestigt und von dem Könige Ludwig XIV. (1643
—1715) zu voller Geltung gebracht wurde. Es beginnt mit diesen Männern
die Zeit der absoluten Monarchie, d. h. der Herrschaft des unbeschränkten
königlichen Befehls und Willens"), die bald in ganz Europa Nachahmung
fand. In dem politischen Verkehr der Staaten (in der Diplomatie) ward statt
des ehemaligen Latein die französische Sprache üblich, und ebenso ward das
französische Vorbild in den Sitten und Gebräuchen der vornehmen Kreise
vorherrschend. Durch die großen Geldmittel des Landes, durch ein starkes,
wohlgeübtes stehendes Heer, durch eifrige, wenngleich prahlerische und unfreie
Pflege von Kunst und Wissenschaft, durch hervorragende Feldherren und
Staatsmänner ward dieser glänzende Vorrang Frankreichs die ganze zweite
Hälfte des 17. Jahrhunderts hindurch behauptet. Man nennt diesen Zeit-
räum deshalb auch das Zeitalter Ludwigs XIV. (siecle de LouisXIV).
§ 433. Neben Frankreich war durch Gustav Adolf als zweite Großmacht
Schweden getreten und behauptete diese Stellung gleichfalls bis über das
17. Jahrhundert hinaus. Fast die ganze Ostsee war von schwedischem Ge-
biet umschlossen (§ 398). Zu den alten Besitzungen waren durch den west-
Mischen Frieden noch die von Deutschland abgetretenen Gebiete: Vorpommern
und ein Streifen von Hinterpommern, Wismar und die Fürstentümer Bremen
und Verden gekommen (§ 414). Da Schweden durch diese Erwerbungen
Mitglied des Reichs geworden war, so übte es oft einen entscheidenden Druck
auf die Reichsangelegenheiten aus. Zugleich aber erstreckte sich sein Einfluß
auch über Dänemark, Nußland und Polen, und vergeblich bemühten sich
diese entweder ohnmächtig gewordenen oder noch unausgebildeten Staaten,
sich ihm zu entziehen. Auf Gustav Adolf war feine Tochter Christine gefolgt
(1632—1654), erst unter der vormundschastlichen Regierung einiger stolzen
Adelsgeschlechter (§ 405), dann selbständig, bis sie der Herrschaft müde die
Krone niederlegte und, durch den Zweifel an allem zum Glauben an die un-
*) Man hat, um sie kurz zu kennzeichnen, gewisse Formeln und Redensarten,
die man Ludwig XIV. zuschreibt: Gar tel est notre plaisir. — L'etat c'est moi.