Full text: Geschichte des deutschen Volkes

Der Wiener Congreß. § 694—696. 395 
Gneisenaus Befehl. Bei Belle-Alliance aber trafen sich, im letzten Dämmer- 
licht des Tages, Blücher und Wellington, und der Handschlag beider Feldherren 
sagte es ohne Worte, wieviel sie Beide für die gemeinsame Sache gethan. 
§ 694. Die eine Schlacht von Belle-Alliance (die Engländer nennen 
sie nach ihrem Hauptquartier von Waterloo) hatte Napoleons Hoffnung für 
immer gebrochen. Er konnte kein Heer wieder sammeln, und schon eilf Tage 
nach der Schlacht standen Preußen und Engländer zum zweiten Male vor 
Paris. Abermals erklärte der französische Senat Napoleon für abgesetzt. 
Die übrigen Heere der Verbündeten rückten noch zum Theil nach Frankreich 
nach, noch einmal zogen die Monarchen in Paris ein, und ein zweiter Pariser 
Frieden (20. November 1815) endete den kurzen aber glorreichen Krieg. 
Damals drangen einmüthig unsere Fürsten, Staatsmänner und Generale auf 
Rückgabe Lotharingens und des Elsaß, damit Deutschland feste Grenzen nach 
Westen hin gewinne: aber alle Verbündete Deutschlands schlugen den gemein- 
samen, unseren deutschen Rechten feindseligen Ton an. Es war offenbar, 
wie England und Rußland in gleichem Neid einer festeren Gestaltung Deutsch- 
lands entgegen arbeiteten. Zwar gab jetzt Frankreich Savoyen und Nizza an 
das Königreich Sardinien ab: die deutsche Grenze aber ward nur um Saar- 
brücken und Sarlouis, das zu Preußen, und um Landau, das zu Baiern 
kam, erweitert. Doch ward wenigstens der Raub der früheren Kriege diesmal 
aus den Pariser Museen und Bibliotheken meist den alten Eigenthümern zu- 
rückgestellt. 
§ 695- Napoleon endete als Gefangener der verbündeten Mächte auf 
St. Helena (5. Mai 1821). Kein fremder Herrscher, nicht Attila, nicht Gustav 
Adolf, nicht Ludwig XIV., hat wie er in die deutschen Geschicke eingegriffen. 
Er war die Zuchtruthe in der Hand Gottes für lange Sünden der Fürsten 
und Völker; das Erdbeben, durch welches, was morsch war, völlig zusammen- 
brach; der Sturmwind, welcher unsern Himmel zuerst wieder klären und reini- 
gen sollte. Im Kampf gegen ihn kam die Nation wieder zum Gefühl ihrer 
Kraft, aber auch zum Bewußtsein dessen, was ihr fehlte; sie ward erst wieder 
ein Volk mit dem unaustilgbaren Bewußtsein der Einheit und Zusammenge- 
Hörigkeit. Darum, so wenig der Deutsche Grund hat, für Napoleon sich zu 
begeistern, der mit Eiden nicht minder wie mit Menschenleben spielte, mit ge- 
meinem Hohn alles Höchste und Edelste der Menschheit verachtete, oder es mit 
heuchlerischen Phrasen in den Dienst seiner Selbstsucht zog: — er wird doch 
gern die gewaltige Kraft anerkennen, die in der Hand dessen, der die Ge- 
schicke der Völker lenkt, auch uns, ohne es zu wollen, so viel Gutes hat schaf- 
fett müssen. 
28» Der Wiener Congreß. 
§ 696. Noch ehe dieser letzte Kampf begonnen, fett dem Herbst 1814, 
hatte] zu Wien eine glänzende Versammlung von Fürsten, Feldherren und Diplo- 
maten getagt, und es war hier über die Endgeschicke der europäischen Länder 
bestimmt worden. Der Wiener Congreß ward wie einst der westfälische 
Frieden (§§ 412 ff.) die Grundlage eines neuen Rechtszustandes Europa's. 
Unfern Zwecke entspricht es hier nur, einen Ueberblick der Regelung der deut- 
schen Angelegenheiten zu geben. 
Oestreich nahm von Baiern Tirol und Salzburg und von dem auf- 
gelösten Königreich Italien Welsch-Tirol zurück. Dagegen trat es die, ehe- 
dem vorderen Lande, die um den Bodensee gelegenen alten Erbbesitzungen an
	        
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